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Texte von Susanne Schirdewahn für die Berliner Zeitung

Jim Avingon

Das mit der Spontaneität ist so eine Sache. Eigentlich gibt es sie ja gar nicht mehr. Obwohl alle in Zeiten der ständigen Ãœberforderung behaupten, endlich mal wieder so richtig spontan sein zu wollen. Es sogar zu müssen, um sich noch einigermaßen lebendig zu fühlen: Spontan auf ein Bier. Spontan in den Urlaub. Spontan gebären. Nun ja. Auch dieser Text wird wohl erst nach reiflicher Ãœberlegung entstanden sein. Trotzdemist es natürlich wichtig, diese dahinschwindende Tugend zu fördern, wo es nur geht. Auch dazu lade ich die kreativen Promis dieser Stadt ein. Wann sonst schafft man es, mal wieder ordentlich überrascht zu werden und über sich selbst hinauszuwachsen?! Planen war gestern,heute ist leichtfüssige Unvoreingenommenheit gefragt. Mensch, es ist Sommer! Jim Avignon steht schon lange auf meiner Liste. Kaum einem gelingt es wie ihm, sich seit gut zwanzig Jahren im gestalterischen Bewusstsein unseres Do-it-yourself- Mekkas zu halten. Seine Kunst hat das wiedereröffnete Berliner Olympiastadion geschmückt, ins Feld getragen von 132 hoch motivierten Sportlern. Auch gab es Flugzeuge mit seinen Charakteren. Uhren. Und schließlich auch ein Stück Ex-Mauer, das er kürzlichunter großer, nicht unkritischerAufmerksamkeit neu übermalt hat. Wer es noch nicht kennen sollte: Es ist in einemWerbespot der Telekom zu sehen. Avignon hat viel zu tun. Schließlich macht er auchMusik, erfreut die Tanzgemeinde immerwieder mit extrem sympathischen Auftritten als DJ. Irgendwannim letztenWinter waren wir dann verabredet. Zum Basteln. Er hatte mit einem gewissen Unbehagen zugesagt, wie er später bekennen wird, weil er wohl oft in diese Ecke gesteckt wird. Dabei ist seine Streetart inzwischen längst in den großen Galerien dieser globalisierten Welt angekommen. Alles war gut organisiert, aber leider kam die Spontaneität in ihrer negativen Form ins Spiel, und wir konnten unseren Termin nicht halten. Erst ist sein Kind krank. Dann meins. Oder war es umgekehrt? Egal. Mich beruhigt fast, dass er zu unserem dann doch stattfindenden Treffen um einiges später kommt, weil er einen alten Freund auf der Straße getroffen hat − mit Spontanplausch. Ich bin inzwischen auf ein anderes, freilich viel kniffligeres Bastelthema umgeschwenkt; wenn wir es schon nicht unmittelbar umsetzen können, dann sollten wir unbedingt noch einen Schritt weiter gehen und versuchen,einfach mal nichts zu machen! Ist das nicht genial? Nichts! Sich überhaupt der Kreativität verweigern und einen Raum schaffen, in dem endlich mal nichts ist? Die große, hervorragende Leere des Nichts?! Die einzige Schwierigkeit könnte darin bestehen, dass wir hinterher nichts zu versteigern haben für einen guten Zweck. Darf man für nichts Geld nehmen? Avignon sieht sich der Aufgabe selbstverständlich gewachsen. Immerhin, erzählt er, habe er schon mal Vakuum gemalt, da war eine Kiste als Kopf zu sehen, alles in seinerfeinen, ironischen Art. Ich bin prompt begeistert und halte ihm das Stück weißen Restkarton hin, das ich zur Sicherheit mitgebracht habe. Damit könne er leider nichts anfangen, weil die Farbe darauf nicht halten wird. Im Klo findet er dann aber guten Ersatz, ein Kosmetikplakat. Spontan setzt er sich hin und überlegt erst mal. Macht ein paar Zeichnungen in sein geheimes Skizzenbuch. Schreibt etwas auf. Dreht und wendet seine Ideen, betrachtet die Vorlage. Verwirft erstaunlich oft für einen ehemaligen Streetartisten, sodass ich mich schon freue, vielleicht am Ende doch nichts auf dem Bild zu haben. Sein erster Vorschlag: komplettes Schwarz. Aber das wäre ja nun nicht seine Art. Also verlagern wir uns beide auf den Boden, Jim sucht sich ein paar Farben aus, mischt sie auf seinem mitgebrachten Deckel, mit seinenundmeinen Pinseln. Einbisschen wie Picknick. Nurmit geistiger, leichter Nahrung. Das ist prima. Wirklich. Man sollte öfter mal nichts machen. Vor allem, wenn es hinterher so aussieht wie bei Jim. Und ich schmunzle spontan, trotz des tiefenphilosophischen Gegenstands dieser Kolumne. Nichts für ungut.

Carmen Maja Antoni

Über Glück wird derzeit viel geredet. In Fernsehen, Presse, Büchern, die dann dank des Themas gleich zum Bestseller mutieren. Jeder scheint es zu suchen, kaum einer zu finden. Es lässt sich nicht festhalten und eine allgemeingültige Formel gibt es nicht. Mein Vorhaben, Glück hier mit gut 4000 Zeichen zu beschreiben, ist also von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber in der einen Stunde, die die Schauspielerin Carmen-Maja Antoni zum Basteln in mein Atelier kam, war ich glücklich. Vielleicht ist es einfach nur wichtig zu wissen, wo man es findet.

Das Theater ist so ein Ort der Glückseligkeit, zumindest für manche und wohl auch nur für gewisse Zeiten. Immerhin steht man da auf Brettern, die die Welt bedeuten, und die Möglichkeit, mittels Katharsis etwas über sich und die Welt zu begreifen, liegt sehr nah.

Die große Brecht-Interpretin Antoni wüsste darüber ganze Arien zu singen. Seit bald 60 Jahren steht sie auf der Bühne, erfolgreich vor und nach der Wende. Darüber hat sie ein feines Buch geschrieben „Im Leben gibt es keine Proben.“ Und tatsächlich ist ihre Geschichte voll mit Erlebtem, dem wundersamen Zusammenspiel aus Leben und Arbeit und dem Leben für die Arbeit. Als Schauspieler ist man auch Diener. Man dient einer Rolle, die einem andere geben. Man füllt sie mit etwas Eigenem und Unverwechselbarem, was die Antoni bestimmt wie kaum eine Andere beherrscht. Und man dient dem Publikum. Sie hat es in all dem Ringen um eine Figur nie aus dem Auge verloren. Dafür wird sie geliebt. Auch ich bin Fan. Seit gut einem Jahr sind wir zum Basteln verabredet.

 

Nach der Lektüre ihres Buchs scheint mir völlig klar, was sie für die Bastel-Serie gestalten könnte. Ein Bild soll sie malen, das die Rolle ihres Lebens symbolisiert. Das ihr die Möglichkeit gibt, ganz frei, ohne Vorgaben, eine Figur zu schaffen, wie sie es sich vorstellt. Ohne Regie, Rollenfach und Regeln. Weil sie doch oft genug für einen bestimmten Typ herhalten muss, die Mutter Courage eben oder die gewitzte, schrullige TV-Schwestern an der Seite von Horst Krause. Ihr Vater war Kunstmaler. Sie selbst, offenbart sie in ihrem Buch, greift hin und wieder heimlich zum Pinsel. Ich bin von meiner Idee restlos überzeugt.

Dann kommt die Antoni etwas zu spät zu mir in den vierten Stock geschnauft. Sie schimpft, dass ich so was mit einer alten Frau nicht machen dürfe; die Bahn fuhr nicht, und wenn sie gewusst hätte, dass ich keinen Aufzug habe, hätte sie abgesagt. Dass ich etwas Gemaltes wolle, wo sie davon ausgegangen ist, dass wir ein Vogelhäuschen basteln, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Sie malt nur, wenn es sie überkommt und sie etwas damit zu erzählen hat. Sonst lässt man es lieber.

 

Mit Fingermalfarben zum Glück

Ich gerate leicht ins Schwitzen. Eilfertig biete ich ihr an, sie könne ruhig auch ein Vogelhäuschen bauen. Schließlich wollte ich ihr Freiheit verschaffen. Keinen Zwang. Das ist doch schlecht für die Kunst. Freiheit! Davon versteht die Antoni was, nachdem sie unlängst ihren festen Vertrag beim Theater gekündigt hat, um endlich freier über ihre Zeit und Projekte zu entscheiden. Nur noch das tun, was sie wirklich will. Genau das war es doch, was ich ihr vorgeschlagen habe! Oder nicht? Ein Vogelhäuschen basteln, pah, ist das künstlerische Freiheit? Was kann man damit erzählen?

Das sind so Gedanken, die mir in den überladenen Kopf schießen, während die Antoni einfach das tut, was sie so großartig beherrscht. Sie folgt ihrem Impuls, trinkt einen Schluck schwarzen Kaffee, setzt sich an den viel zu hohen Tisch. Sie fragt nach Fingerfarben und lässt sich nicht lang erklären, dass man dazu auch Aquarellfarben nehmen könnte. Wie selbstverständlich taucht sie ihren Zeigefinger ins Wasser und tupft kleine ausdrucksstarke Abdrücke aufs Papier. Anschließend versieht sie jeden Fleck mit wenigen Strichen mit einem Gesicht. Nein: mit Mimik. Denn jedes einzelne spielt sie instinktiv mit. Dabei bleibt sie ganz vertieft, amüsiert.

Das ist eine ganz besondere Art von Glück. Dass eine große Schauspielerin zwar nicht sich selbst malt, aber ihr Publikum, in dem sie sich spiegelt. Und überhaupt: dass sie malt, obwohl sie erst gar nicht malen wollte. Ein bisschen wie dialektisches Theater.

David Bennent

 

Träume sind Schäume? Das fühlt sich nicht so an, als unser Jüngster mitten in der Nacht neben mir steht und über seinen Albtraum klagt und ich in sein Bett wechsle, damit er neben meinem großen Mann auch genug Platz hat. Als ich im Kinderbett endlich eingeschlafen bin, überfallen sie auch mich. Mehrere Amokläufer zücken ihre scharfen Messer und jagen mich und meine Familie.

Gerade noch retten wir uns mit einem Fenstersprung. Zum Glück lande ich im realen Bett und kann weiterschlafen. Dass man im nächsten Traum einen Spontan-Vortrag über Politik und Kunst der 1980er-Jahre von mir verlangt, macht das Aufwachen auch nicht besser. Merke: Man sollte vorm Einschlafen nicht James Bond gucken. Aber vielleicht liegt das Durcheinander an Bildern und unheimlichen Gefühlen auch daran, dass ich am selben Tag David Bennent zum Basteln treffe. Das Kindergesicht des Schauspielers mit den Riesenaugen hat nach „Der Blechtrommel“ mein Heranwachsen geprägt, also lange Zeit für seltsame Nächte gesorgt.

Im Theater habe ich ihn und seinen Vater Heinz in „Endspiel“ bewundert, später noch in diversen anderen Inszenierungen. Dieses Gesicht, diese unverkennbare Stimme würde ich gern öfter in Film und Fernsehen sehen und hören, zumal ich inzwischen nicht mehr so leicht einzuschüchtern bin.

 

Mit diesem Impuls packe ich meine Bastelutensilien ein und überlege, aus dem nächtlichen Bildersturm etwas Traumtänzerisches mit David Bennent zu machen. Möge sich unser Unbewusstes äußern, damit wir kreativ daran rumdeuten können. Zum Beispiel so ein Fleckenbild à la Rorschach, worin man mit etwas Fantasie Tiere, Monster, Blumen und Geschlechtsteile entdeckt − ich merke, dass ich immer noch ängstlich bin.

David Bennent wohnt in einer meiner Lieblingsstraßen direkt unterm Dach, man hört die Regentropfen auf das Fenster schlagen, und Bennent, den ich David nenne, öffnet mir auch leicht zerknautscht. Dabei hat er schon selbst etwas präpariert. Ich entdecke es auf dem Küchentisch in seiner geräumigen und fast leeren Wohnung. Es sieht aus, als sei er erst eingezogen, jedoch ist das schon fünf Jahre her. Aber er pendelt viel zwischen Paris, Wien, Berlin und natürlich Griechenland, wo er den wichtigsten Teil seines Lebens verbracht hat, seine Kindheit.

Blaues Auge aus dem griechischen Souvenirshop

Auf dem Tisch sind allerlei Fundstücke drapiert, die andere achtlos am Strand oder auf der Straße liegen lassen. Das ganze Kücheneck ist mit einem Fischernetz ausgekleidet, worin andere erbeutete Dinge hängen: eine Koralle, ein Plastiklöffel in Palmenform und das typische blaue Auge, das man in allen griechischen Souvenirshops kaufen kann, der übliche Krimskrams eben.

Aber halt: Bei David wirkt die Mischung in ihrer scheinbaren Zufälligkeit irritierend poetisch. Er sitzt da wie ein Kapitän seines ewig auf See schwankenden Schiffs und erzählt und erzählt. Währenddessen knotet und flicht er die letzten Elemente an sein Objekt, das er anscheinend schon vor Stunden mit viel Geduld angefangen hat. Er sagt, es sei ein Windspiel, und ich will ihn irgendwie doch zurück auf meine Idee bringen und ergänze, dass es aber auch eine Art Traumfänger sein könnte. Da guckt er mich kurz an und verneint, das sei doch etwas viel Komplizierteres. Ihm ginge es nur darum, die Dinge zu sammeln und für sich stehen zu lassen. So habe ihn zum Beispiel bei einem Freund die simple Idee inspiriert, alte Glühbirnen zu entkernen und als Vasen wiederzuverwenden. Als er mir eine davon zeigen will, kullert sie vom Tisch und zerbricht in abertausend Stücke. Ist das wirklich kein Zeichen? Der kleine Herr Mazerath konnte doch mit seiner Stimme Gläser zum Zerspringen bringen?!

Nein, David bastelt weiter und erzählt von seinem Arbeitsethos genauso leidenschaftlich wie von den langen Tagen am griechischen Strand. Geschichten, für die ich hier keinen Platz finde! Dabei wirkt er so angstfrei und konfliktlos glücklich, dass ich nervös werde, wie ich daraus eine Pointe schaffe. Aber vielleicht brauche ich die nicht. Wahre Größe zeichnet sich durch Einfachheit aus. David Bennent macht es einfach.

Jan Becker

Jan Becker ist Wundermacher. Das sind so Leute mit Ausstrahlung, die sich vor einem hinstellen, ein paar wenige bedeutsame Sätze raunen, einem den Finger leicht auf die Stirn tippen, ihr Gegenüber in einen hypnotischen Schlaf versetzen und zu Boden sinken lassen.

Gern wird der andere zum menschlichen Brett und lässt sich zwischen zwei Stuhllehnen legen. Auch die Körperskulptur ist beliebt; das wiederum macht Jan Becker auch mal im öffentlichen Raum, wozu er Menschen seltsame Verrenkungen einnehmen lässt und sie zu einem hübschen Leuteknäuel zusammenbringt. Was, werden Sie also rufen, macht dieser Typ hier auf dieser Seite? Das ist keine Kunst, sondern Jahrmarktszinnober! Humbug, wie ihm auch schon mal aus dem zweifelnden Publikum entgegengeworfen wurde.

Aber der Mann mit der Mondsichelfrisur hat es in sich. Eigentlich ist er eher Magier, Zauberer mit dem, was er im Fernsehen, demnächst auch im Tempodrom (6. November), mit seinen Zuschauern anstellt. „Hypnotize the World“ heißt es da wenig bescheiden.

Grund genug, ihn mal zum Basteln einzuladen und zu sehen, was dran ist an seiner Gedankenlesekunst. Übrigens hat er gerade seinen dritten Bestseller geschrieben, diesmal über das „Geheimnis der Intuition“ (Piper Verlag). Darin sieht Jan Becker durchaus eine Verbindung zur Kunst. Dort werde ja auch mit Intuition gearbeitet.

 

Kurz vor unserem Termin ruft seine PR-Agentur an, um seine Verspätung anzukündigen und zu fragen, ob ich denn Papier, Kleber und Schere parat hätte. Aber natürlich! Selbst ohne Intuition könnte man das wissen, aber egal, ich freue mich.

Nur muss ich feststellen, dass die Klingel mal wieder kaputt ist, also bestelle ich Jan Becker wiederum, er solle mich bitte auf dem Handy anrufen. Dass er wenig später klingelt, wundert mich dann doch etwas. Hat er die Klingel hypnotisiert? Als ich die Frage schon im Kopf vorformuliere, merke ich, dass er ins Hinterhaus läuft. Spürt er denn nicht, dass er ins Vorderhaus müsste? Das, erzählt er später beim Kaffee, passiere ihm ständig. Immer Tests, ob er denn wisse, was der andere jetzt wolle. Vielleicht wie bei Ärzten, die auch zu keiner Party können, ohne mit Krankheitsgeschichten behelligt zu werden.

Zurück zu Beckers Auftritt: Er ist ein bisschen wie Doktor Watson gekleidet, was ihm unheimlich gut steht, und dass er gleich ansagt, dass sein Parkticket in 50 Minuten ablaufe, macht ihn prompt schön weltlich. Er ist wahnsinnig nett und amüsant. Darf man das über einen Magier sagen, ohne den Zauber zu brechen? Man darf.

Überhaupt darf ich ihn alles fragen, auch, ob er sich nicht wie Supermann vorkomme, der ständig in Alarmbereitschaft sei. Denn schließlich erwachen seine Mitspieler oft als Geläuterte aus der Hypnose, wie ich jetzt mal pathetisch formuliere. Aber wie soll man es sonst sagen, wenn er von einer Mutter hört, dass ihre Tochter seitdem an Selbstbewusstsein gewonnen hat und nicht mehr an Bulimie leidet? Wunder oder Scharlatanerie?

Wir gestalten unsere Wirklichkeit aktiv und auch unbewusst mit − ist so einer seiner Sätze, die ich mitnehme. Und dass man das eben auch ändern könne. Vor lauter Erkenntnissen verliere ich fast den Anlass unseres Treffens aus den Augen. Zum Glück hat Jan Becker bereits seine Bastelidee gedanklich vorbereitet und schickt mich aus dem Raum, um mich mit einem „unmöglichen Objekt“ zu überraschen. Ein Bogen Papier, ein paar wenige Einschnitte. Das Ganze dann auf Pappe. Das soll nun mein Test sein, denke ich, ob ich als Superbastlerin weiß, wie er es gemacht hat. Nach zwei, drei Minuten ist er fertig, nicht ohne mir vorher zugerufen zu haben, dass der Kleber tropft.

Vor mir nun dieses Ding, das man auf den ersten Blick als abstraktes Origami verunglimpfen könnte, das aber auch an M. C. Escher erinnert, seine unmöglichen Zeichnungen und Objekte. Schön und so einfach! Ich habe das dann mal spontan nachgebastelt. Ganz intuitiv richtig geschnitten. Das Problem ist nur, dass ich es hinterher nicht erklären konnte und daher auch hier eine Bastelanleitung schuldig bleibe. Ein Wunder?

Anke Becker

Anke wer? Nein, das ist nicht die Neue vom Boris. Auch keine Tochter vom Jurek oder Nichte vom Jürgen oder Schwester von der Meret. Anke Becker ist Künstlerin. Sie ist eine von rund 13 000 in Berlin gemeldeten bildenden Künstler/innen (Quelle: Künstlersozialkasse). Ich habe die genaue Zahl mal abgefragt, weil ich das Geschimpfe über zu viel Konkurrenz um zu wenig Geld nicht mehr hören konnte. Aber es stimmt ja auch. Die meisten krebsen irgendwo am Existenzminimum herum und warten vergeblich auf ein gewisses Maß an Anerkennung oder gar den Durchbruch. Auf den Tag, an dem man sich einen Namen gemacht hat und es irgendwie von selbst läuft. Dabei wissen wir spätestens seit Goethe, dass Namen Schall und Rauch ist.

Anke Becker hat es mit einem ihrer Lieblingsprojekte symbolhaft auf den Punkt gebracht. „Anonyme Zeichner“ gibt es seit 2006. Damals hat sie einen leerstehenden Klamottenladen mit Kunst bespielt, einen Tag lang, je eine Zeichnung anonym ausstellender Kollegen und Kunstadepten. Erst nach dem Kauf wurde der Name sichtbar, und für manchen vielleicht die Frage beantwortet, ob das auch eine Investition in die Zukunft war. Denn schließlich kochte in diesem Jahr der Kunstmarkt mal wieder hoch.

 

Sale-Aktionen

Anke Becker konterte, indem sie die einzelnen Werke zum Spottpreis von je 100 Euro anbot. Dass man ihr den Laden nicht gleich leergekauft hat, nimmt sie heute professionell gelassen und erzählt von einer ähnlichen Aktion in Leipzig, wo man der Hochschule für Grafik und Buchkunst die Arbeiten aus den Händen gerissen habe, nach dem Gerücht, dass Professor Neo Rauch eine Skizze zur Verfügung gestellt habe.

 

Basteln mit Luftschlangen

Sie sagt, dass man schon eine Art von Dringlichkeit spüren müsse, egal ob das nun ein Kind oder ein Profi produziert habe. Wir sitzen auf einer lehnen-losen Holzbank mitten in der Ausstellung. Um uns herum dieses bunte Ensemble aus persönlichen Zeugnissen, die für Becker im Zusammenspiel wie eine Geschichte wirken. Eine Raumkollage, die sich als perfekte Bebilderung von Beuys’ Maxime herausstellt: Jeder ist ein Künstler. Stimmt das? Natürlich ist es obsolet eine Künstlerin danach zu fragen. Noch dazu so eine unerschrocken Humorvolle wie Anke Becker. Sie zuckt nicht zurück, als ich ihr zur Beantwortung ein paar Luftschlangen und Konfetti in die Hand drücke, um daraus eine Bastelei zu zaubern. Nur beschwert sie sich, dass das Format ein bisschen klein sei und der Kleber zu klecksig. Ein Prittstift wäre besser gewesen, das soll aber nicht daran hindern, mit schnellen, sicheren Handgriffen aus zwei Schlangen ein Raster zu weben.

Während sie ihre Finger in den Kleister tunkt, erinnern wir uns an die rappelvolle Vernissage. Ich gestehe ihr, dass es für mich ein Gefühl von Mauerblümchen sei, irgendwo selbst anonym zwischen den Blättern zu hängen, ohne gekauft worden zu sein. Schließlich hätten an „meiner“ Wand inzwischen etliche andere Zeichnungen einen Liebhaber gefunden. Darf ich das überhaupt preisgeben? Bevor ich es bereue, lacht Becker auf, dass sie das Gefühl nur allzu gut kenne. Sie selbst habe ja auch eine Arbeit von sich ausgestellt und noch nicht verkauft. Uff! All diese Fragen nach dem perfekten Strich, dem Zeitgeist, was funktioniert, Anklang findet oder nicht. Hätte ich eine andere Arbeit liefern sollen? Oder eben genau nicht? Immerhin haben wir noch Verkaufschancen in Rom, Braunschweig und Rüsselsheim. Und natürlich online!

Meike Droste

Das Leben ist ungerecht. Ich meine nicht nur ein bisschen, sondern so generell. Sie zum Beispiel: lesen in Ruhe eine Kolumne, während andere schuften müssen, Holz hacken oder Steuererklärungen prüfen. Oder Sie lesen das hier eben nicht, weil Sie sich − ohne überhaupt zu wissen, was hier drin steht − keine Zeit nehmen! Ungerecht! Oder Sie lesen dies und ärgern sich schon bei den ersten Worten über einen derart ausgestellten Pessimismus, wo es den Kolumnenschreibern doch gut gehen müsste. Schreiben rum und kriegen auch noch Geld dafür. Ja, aber zu wenig! Und das verletzt schon wieder mein Ungerechtigkeitsgefühl.

Oft habe ich behauptet, dass Basteln hilft: bei Kummer, schlechtem Wetter, Ideenlosigkeit. Und was ist, wenn man selbst beim Basteln ideenlos ist? Heute weiß ich nichts. Ich habe mir einen Supergast ins Atelier eingeladen. Eine Frau, mit der ich am liebsten einfach nur Kaffee trinken und Kekse essen möchte. Ein bisschen quatschen vielleicht. Ab und zu verklärt in den Hinterhofhimmel blicken, während die Bauarbeiter gegenüber bei ihrem Tagwerk schwitzen, ihre schlechte Laune zelebrieren, sich in schwarzen Gedanken suhlen. Das wär’s.

 

Jammertal der Vergeblichkeit

Meike Droste kommt, eine meiner Lieblingsschauspielerinnen, deretwegen ich sogar eine Serie gucke, die ich sonst nie angesehen hätte. „Mord mit Aussicht“, hört sich ja nicht gerade sexy an und spielt auch noch in einem Provinzkaff namens Hengasch. Meike Droste verkörpert die Polizistin Bärbel Schmied mit hingebungsvoller Schlichtheit. Im Team mit Bjarne Mädel und Caroline Peters hat sie es zu einem absoluten Quotengaranten gebracht. Ein gutes Gefühl, wenn mir mal was gefällt, was auch eine gute Quote hatte. Oft ist es ja genau anders herum. Was mir gefällt, verschwindet meist ins Spätabendprogramm und ist dann auch schnell weg vom Fenster. Ungerecht.

Ahnen Sie die Misere, der ich mich kurz vor Ankunft von Meike Droste ausgeliefert sehe? Das düstere, nicht enden wollende Jammertal der Vergeblichkeit, wohinein alle jungfräuliche Kreativität verschwindet, sobald man sie nur ein klitzekleines bisschen hinterfragt. Husch, fort ihr Zweifel.

Ich habe gerade mal keine Idee, na und? Besser mal schnell Kaffee kochen. Aufräumen. Saubermachen. Dann klingelt Meike Droste auch schon. Vor Jahren habe ich sie als heilige Johanna der Schlachthöfe bewundert. Ähnlich eingewickelt in verschiedene Schals steht sie vor mir, ähnlich kraftvoll ihre Umarmung. Was also haben wir denn nun vor? Als ich ihr vorschlage, Kaffee zu trinken, muss sie lachen. Ihr Mann ist Künstler, auch ihr Bruder, sie kennt das. Diese große Suche nach dem richtigen Motiv, das sich um so mehr verkriecht, je intensiver man ihm auflauert. Schon wieder: ungerecht.

Ernst vor dem leeren Blatt

Schlagartig fällt es mir ein, natürlich! Meike Droste muss etwas zum Thema Gerechtigkeit schaffen. Die einstige Johanna wendet sofort ein, dass das nach Waldorfschule klingt. Was sie aber gar nicht negativ, zumal ihr Sohn dort eingeschult wurde. Insofern widmet sie sich mit großer Ernsthaftigkeit dem leeren Blatt vor sich. Ob sie eine Justitia malen wird? Was würde ich denn malen? Ist die Aufgabenstellung zu abstrakt? Oder auch zu platt?

Kaffee will Droste auch nicht. Lieber ein Glas Wasser. Wir reden viel über den Schauspielerinnenberuf. Dass man bei diesem Thema rasch auf all die Ungerechtigkeiten zu sprechen kommt, für welche Rolle man besetzt wird und für welche nicht. Weil man zu dick ist oder zu alt. Derweil verstreicht die Zeit und ich frage mich, ob nicht dieses unberührte Papier zumindest rein konzeptionell genau das Thema widerspiegeln könnte, als Droste einen kleinen Fleck darauf entdeckt.

„Das ist ungerecht!“, schreit sie auf und beschließt, einfach ein Himmel-und-Hölle-Spiel zu bauen. Diese Schnipp-Schnapp-Bastelei sei die perfekte Umsetzung des Themas, schimpft sie fröhlich, während sie eine Flammenhölle auf die falsche Seite des Papiers malt. Überhaupt: wie geht die Falterei noch mal? Ist das Papier nicht zu dick? Und warum verschwimmt das Wortspiel mitsamt dem Filzer unter dem Aquarell? Lauter Ungerechtigkeiten, aber das Ergebnis ist schön.

Katja Eichinger

Manche Geschichten muss man vom Ende her erzählen. Nicht, um ihnen die Spannung zu nehmen. Sondern, um etwas anderes zu erzeugen: Sinn. Ja, auch beim oft belächelten Basteln geht das: Sinn stiften. Dass das nichts für Weicheier ist, wird spätestens klar, seitdem ich Katja Eichinger zur Kreativsause eingeladen habe. Jetzt liegt vor uns ein abgeschnittener Frauenkopf, mit blutgeschwollenen Lippen. Umzüngelt von Schlangen in schrillem Gelb, als wären sie gerade erst geborsten. Dabei lächelt sie. Süffisant? Wissend? Katja Eichinger wird sagen: Man muss das Leben genießen. Viel Kaffee trinken. Und Champagner. Sie muss es wissen. Ihr neues Leben hat mit dem Tod eines anderen begonnen. Seit dem überraschenden Abgang ihres Mannes, des Hollywood-Filmmoguls Bernd Eichinger 2011, strotzt sie bei aller Trauer vor Schaffenskraft. Erst hat sie fulminant seine Biografie „BE“ hingelegt, die jede Vorbehalte gegen allzu dicke Bücher torpediert. Unbedingt lesen! Und dann ihr Roman „Amerikanisches Solo“, worin ein Jazzgenie am eigenen Narzissmus zu Grunde geht.

 

Produktivität statt Leid und Trauer

Hybris. Antike Sagen. Das sind die Geschichten, die die Filmjournalistin faszinieren. Auch das hat sie mit ihrem Mann geteilt. Die Bereitschaft, sich auf unbequeme Themen einzulassen. „Baader Meinhof Komplex“, „Der Untergang“. Und die Arbeit am Drehbuch für die Kampusch-Story, während der Bernd Eichinger verstarb.

Katja Eichinger spricht nicht viel von diesem Abschied, sie hat ihn in den Hammersätzen ihres Buchs gebannt. Sie sucht die Produktivität, statt sich in Leid und Trauer zu wälzen. Vielleicht erklärt diese Haltung zum Leben auch, warum ihre Zusage zum Basteln so zupackend rüberkam: „Vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich habe mich zwar schon im Kindergarten dem Basteln verweigert, aber ich male gerne und zwar seit ich mich erinnern kann. Allerdings werden Sie mich nicht dazu bringen, ein Bild von meinem verstorbenen Mann zu malen. Und ich muss Sie auch warnen, ich lasse mir beim Malen nicht reinreden. Aber wenn Sie’s trotzdem noch interessiert, gern.“

 

Aus tränemnassen Papier lässt sich keine Laterne basteln

Später wird sie mir davon erzählen, wie es war, im ungeliebten Kindergarten eine noch viel weniger geliebte Laterne basteln zu müssen. Damals im Alter von vielleicht vier Jahren habe ihr niemand erklären können, warum sie das eigentlich tun sollte, bis das bunte Papier unter ihren Tränen patschnass und unbrauchbar war. So ein Trauma will ich natürlich nicht riskieren.

Wie wäre es, wenn sie etwas zum Thema „Metamorphosen“ malen würde, einem ihrer Lieblingsstoffe? Sofort springt sie darauf an. Also soll es eine Medusa werden! Diese Figur sei ihr schon mit neun Jahren begegnet, als sie mit ihren Eltern in Florenz war. Jenes gruselige Antlitz habe es ihr sofort angetan.

Schlangenhaare, Eckzähne und Schuppenpanzer

Medusa war diejenige, die verbotenerweise ein Techtelmechtel mit Poseidon im Tempel von Athene hatte, woraufhin diese sie mit Schlangenhaaren, langen Eckzähnen, Schuppenpanzer, glühenden Augen und heraushängender Zunge behexte. Selbst heute bei allen Möglichkeiten ästhetischer Chirurgie eine Katastrophe. Noch dazu wurden alle, die sie in ihrer Hässlichkeit bestaunten, bestraft, indem sie versteinerten. Wäre das nicht auch ein bisschen angebracht angesichts der Häme über die Schönheitsmakel von Prominenten in heutigen Klatschblättern?

Katja Eichinger kann das Medusa-Symbol als „alte Freudianerin“ schön erklären: Der Kopf stehe für ein Trauma, dem man nur indirekt begegnen könne. Perseus wusste das und blickte die schlafende Medusa nur im Spiegelbild an, als er ihr den Kopf abhackte. Auch daran gibt es was zu deuten. Kurz erwähnt sei der berühmte Essay der Feministin Laura Mulvey („Visuelle Lust und narratives Kino“), den ich seit Katja Eichingers Empfehlung lese und zu verstehen (Englisch!) versuche. Was ich beim Basteln dank Eichinger gelernt habe: Man kann dem Monster das Grauen nehmen, indem man es malt. Rote Lippen. Und ein zukunftsneugieriger Blick

Benno Fürmann

Mit dem Schauspieler Benno Fürmann habe ich einen Kandidaten gewonnen, den auch meine Mutter kennt. Einer, dessen Konterfei sowohl auf Plakaten von Blockbustern als auch von Autorenfilmen prangt. Es stimmt: Auch in Wirklichkeit sieht er verdammt gut aus, wie er da die Treppe zu meinem ollen Atelier herauf federt und sich gleich bereit erklärt, bei unserem Bastelexperiment auch noch gefilmt zu werden.

Ich hatte ihn in unseren Mails schon vorgewarnt, dass er bei mir etwas malen könnte, das wir am Ende der Serie zu einem guten Zweck versteigern werden. Wir haben exakt zwei Stunden Zeit dafür, denn seine Termine sind dicht gedrängt. Vor wenigen Tagen noch ist er von einer intensiven Woche in einem Flüchtlingslager im Südsudan zurückgekehrt, um für die Uno-Flüchtlingshilfe Spenden einzuwerben. Er weiß, dass den meisten derzeit andere Krisenherde im Gedächtnis sind; Syrien und natürlich der Nahe Osten. Täglich wird man mit schlechten Nachrichten versorgt, oft ohne das Gefühl, effektiv etwas dagegen tun zu können. Noch dazu schleicht sich beim Kreativsein nicht selten der Gedanke ein, an einem der gesellschaftlich verzichtbarsten Rädchen zu drehen.

Darum ist es umso beflügelnder, einem wie Benno Fürmann zu begegnen, der einfach unverdrossen beide Welten, Film und Wirklichkeit, miteinander zu verbinden scheint und die Glamourwelt dafür nutzt, zumindest etwas mehr Aufmerksamkeit zu generieren. 

 

Kamera, Maltuben und Papier

Wie auf Schienen gleitet er in den Werkraum, den ich extra noch ordentlich auf Vordermann gebracht habe. Mit neuen Pinseln und einem frischen Tisch, den Fürmann gleich mit seinen Mitbringseln belegt − mit Stulle, Apfel und Teeflasche, seinem Frühstück, das er zu Hause nicht mehr geschafft hat. Tatsächlich sieht er aus, als wäre er gerade vom Erholungsurlaub heimgekehrt. Er hat sogar ein paar Skizzen dabei, um seine Idee für ein Motiv zu präsentieren: ein kopfloser Frauenakt, aus dem lustvolle Flammen züngeln.

 

Das hat er früher als Jugendlicher mal entworfen. Ich gebe zu, dass mir in Anbetracht der Entwürfe Zweifel kamen, ob dieses Motiv heute noch trägt. Und vor allem, ob wir das für viel Geld versteigern können. Außerdem finde ich es gerade viel spannender, ihn seines Plans zu berauben, gebe ihm also Maltuben und Papier zur Hand. Mal sehen, was passiert, wenn er vor meinen Augen und vor der Kamera auf einem ihm fremden Terrain improvisieren muss.

Die Kamera! Es ist eine spürbare Veränderung im Raum. Plötzlich fallen mir die Schlagzeilen ein, in denen sich Tom Hanks über den Dilettantismus von „Wetten dass“ beklagte. Seither sollte man es tunlichst zu vermeiden versuchen, einen ernst zu nehmenden Star zum Affen zu machen. Aber muss man sich nicht manchmal weit aus dem Fenster lehnen, um mehr zu sehen und vielleicht auch mehr gesehen zu werden? Also Mut! Mein Vorschlag an Fürmann: Malen mit geschlossenen Augen.

 

Bloß kein Gematsche

Sofort entgegnet er, das sei ihm zu konzeptionell, schließt die Augen aber noch während des Satzes und beginnt mit Kreide die ersten Striche. Mit dieser Amöbenform wird er lange nicht zufrieden sein, auch nicht, als er sehend, korrigierend viele Farben darauf verteilt; um Himmelswillen bloß kein Gematsche! Die Situation droht aus der Leichtigkeit zu kippen. Fürmann ringt sichtlich mit sich und mir, die ich ihm wie bei einer Operation am offenen Kunstherzen immer wieder schnell neue Malutensilien hole und anreiche.

Inzwischen wirkt der Tisch wie ein Schlachtfeld mit verschüttetem Kaffee, unzähligen Farbschüsseln, verworfenen Mischungen. Noch dazu rate ich ihm, etwas mehr „Mitte“ hinein zu malen. Da komme er sich vor wie beim therapeutischen Malen mit Schwester Inge, was er mit so viel Charme herausposaunt, dass ich in das Spiel einsteige und ihm die Inge mache, immer darum bemüht, uns seine Motivation zunutze zu machen.

Aber erst, als er das Bild verwirft und ein neues beginnt, glätten sich die Wellen. Welch Freude, dass er dabei die meiste Zeit die Augen mit meinem Tuch verbunden hat und es zuvor noch im Überschwang als Mal-Lappen benutzen wollte. Das fertige Bild: großartig!

Jan Daniel Fritz

Es war einer dieser Abende, an denen ich mal wieder viel über Kunst nachgedacht habe. Um mich herum lauter gemalte Bilder, Künstler, Bier, Rauch, ein langer Tresen. Was mache ich hier eigentlich? Warum ausgerechnet Kunst? Wohin? Wozu? Und wenn es ewig so brotlos bleibt? Ich hatte einen Filmemacher im Schlepptau, der auch nicht gerade vor Optimismus sprühte, mir aber seinen Freund vorstellte, eigentlich sogar anpries: Das ist Jan Daniel Fritz, er ist erfolgreicher Produzent. Natürlich wittert man da als brotloser Künstler gleich die Chance und will sein Netzwerk bereichern. Also, wollte ich wissen, was für Blockbuster produzierst du so? Ich mache Saucen, schallte es freudig zurück.

Nach langen Jahren beim Film in verschiedenen Positionen ist er unter die Fooddesigner gegangen, die unsere Stadt über ihre Grenzen hinaus so attraktiv machen. Berliner Biere! Berliner Burger! Eine ganze Metropole im Fressrausch. Auch schon mein Vater meinte oft genug zu mir, dass man beruflich was damit machen sollte, Bäcker zum Beispiel, weil die Leute ja immer essen müssen. Keine Woche mehr ohne Food Convention, Dinnerparties, vegane Happenings, Kochhausbesuche. Seit langem versuche ich eine Diät, aber die Versuchung ist zu groß, einen Geschmack zu entdecken und herauszufinden, ob das Glück in einem Pfefferkorn wohnt.

 

Noch dazu gehört Jan Daniel Fritz zu den Unerschrockenen. Anders als manche Promis ist er schnell bereit sich auf ein Bastelabenteuer mit mir einzulassen. Denn: was mit Essen hatte ich noch nicht. Wie schmeckt eigentlich Berlin? Wäre es möglich, diese pumpende Irrsinnswelt in einem Gemälde aus Geschmäckern zu bannen? Vielleicht sogar etwas so Symphonisches zu kreieren wie damals der Menschenfänger J.B. Grenouille in „das Parfum“?

Schon Tage vor unserem Treffen schicke ich J.D., dem „Saucenfritz“, die Aufgabe ins Büro. Ich weiß, er schafft das. Aus seiner Kochfeder stammt der Verkaufsschlager „Kiezkeule“, ein scharf-süßes Ketchupgebräu mit Himbeermark, das sich besonders die trendgeilen Berlintouris als Souvenir mitnehmen. Seine Achtkräuter-Essenz ist oft bereits vor der nächsten Saison ausverkauft.

Mir läuft eigentlich schon tagelang das Wasser im Mund zusammen. Um die Wartezeit zu überbrücken ernähre ich mich von Kürbissuppe, auch fein − und das Gute daran: sie hält lange vor. Was für eine Zauberessenz wird mich erwarten? Als ich dann endlich zum „Saucenfritz“ nach Weißensee radele, spüre ich schon das Prickeln im Magen, das dem Verliebtsein ähnelt. Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Das ist wohl einer der Gründe dafür, warum sich dieses Kochdings schon seit Jahren im Fernsehen behauptet. Stellt das gar eine Konkurrenz zum Kunstgenuss dar?, denke ich. Das Auge isst mit, sagt man. Eine Suppe jedoch kann man sich nicht an die Wand hängen.

Ein Anruf reißt mich aus meinen Überlegungen. Ob ich noch etwas Schmand mitbringen könnte? Himmel, was war das gleich nochmal? Peinlicherweise muss ich mich im Supermarkt durchfragen. Um meine Ehre zu retten, kaufe ich noch etwas Sekt. Dann endlich öffnet mir Herr Fritz seine geheimen Pforten, und ich schwenke meine Einkäufe in der Luft. Auch er hat eingekauft. Mangold. Kartoffeln. Möhren. Senfgurken. Blutwurst. Und Kürbis. Er habe lange darüber nachgedacht, wonach Berlin denn nun schmecke. Sein Rechercheergebnis hat er mitten in der Nacht ins Smartphone getippt, jetzt überträgt er das Ganze formschön auf eine Tafel, er installiert extra Filmlicht für die Zutaten. Sagt noch mit Blick auf meine Kamera, dass er mir eine bessere für die Fotosession anbieten könne.

Dann legt er los, lässt mich immer wieder probieren, besonders den Andalimanpfeffer, den erst mal Vögel fressen und wieder ausscheiden mussten, damit er wild wachsen und zu seinem unvergleichlichen Aroma gelangen konnte. Ein Mundraumorgasmus, verspricht Fritz. Drei Stunden lang wird er mich in einen echten Zwiespalt kochen. Vielleicht sollte ich doch umsatteln und was mit Essen machen. Es macht glücklich. Denn die Kürbissuppe mit dem scharfen, sehr scharfen Vogelzitronenpfeffer hat nachhaltig geschmeckt.

Steffen Groth

Drei Dinge sind es, die es reizvoll machen, Steffen Groth zu einer Bastelstunde einzuladen: 1.) Der Schauspieler gewann bereits den ersten Platz beim „TV total Turmspringen“ (noch vor dem Extrem-TV-Sportler Joey Kelley), liebt also das Risiko. 2.) lebt er als bekennender Vegetarier; was zwar weniger riskant ist, dafür aber eine Motivation für mich darstellt, jetzt vielleicht doch endlich mal mit dem Fleischessen aufzuhören. Und 3.) engagiert sich Groth sozial.

Seit einiger Zeit spielt er mit dem Gedanken, sich als Coach für gewaltfreie Kommunikation ausbilden zu lassen. Hinsichtlich steigender Gewaltbereitschaft kann man nicht genug gegensteuern. Auch Basteln hilft, davon bin ich jedenfalls fest überzeugt.

 

Groth wird in Hauptrollen gern als Heldentypus besetzt, so gesund und strahlend wie er wirkt, und lustig. Wir sitzen eine ganze Weile beim Kaffee beisammen, während er eine Anekdote nach der anderen über seine Erfahrungen als Schauspieler mit wachsendem Bekanntheitsgrad erzählt.

Seit seiner Serienrolle bei „Doctor’s Diary“ passiert es hin und wieder, dass er in der Straßenbahn angegafft wird. Auch mit Schreianfällen völlig überforderter, schwärmender Teenies wurde er schon konfrontiert, wobei er prompt die „gewaltfreie Kommunikation“ anwandte. Nein, er bastelte nicht drauflos, sondern hat einfach zurück geschrien und somit dem Starkult den Wind aus den Segeln genommen. Ein ganz normaler Mensch sei er, der nur hin und wieder eine Rolle spiele.

Stimmt, aber das macht er auch beim Malen mit so viel Spaß und Elan, dass es schwer fällt, ihn nicht im Anschluss um ein nächstes Treffen zu bitten, vielleicht ein kurzer Extremtrip zum Nordpool oder eine Weltumseglung, Stoff für Geschichten brächte er allemal mit.

Nur müssen wir aber mal entscheiden, was er eigentlich malen soll. Was hatte ich mir nicht alles Inspirierendes für ihn ausgedacht! Und mitgebracht. Über Vegetarismus hatte ich das Konzept entwickelt, man könne doch einen Gemüsekopf à la Arcimboldo gestalten, der zwar nicht haltbar, aber vielleicht originell wäre. Oder mal Kartoffeldruck für Erwachsene. Oder Malen mit Wein und Sojasauce.

Ich habe extra Eier für Eitempera eingekauft, die wir aber schnell verwerfen, denn Groth hat sich derweil vom Ovo-Lacto-Vegetarier hin zu einem ohne Ovo entwickelt. Also weg mit den vorgefertigten Ideen, her mit der Spontaneität!

Mit Verve wirft sich Groth an die Wand, um, wie er erzählt, sein Kindheitstrauma zu bewältigen. In der Vergangenheit sei ja immer nur sein großer Bruder für die Kunst zuständig gewesen (inzwischen Creative-Director bei „Bread and Butter“), während er eher durch sportlichen Wagemut aufgefallen sei. Nach dieser kleinen Brachial-Therapie ist von Zögern oder Zweifeln keine Spur.

Geschickt greift Groth zum Pinsel und zeigt sich mit dem Vorschlag, ein Selbstporträt zu malen, absolut einverstanden. Ohne Wasser packt er die Farbe von der Tube direkt auf die Borsten und beginnt schon mit dem blauen Hintergrund. Vor meinem geistigen Auge sehe ich ihn ohne Umschweife einen Sprungturm erklimmen. Er fährt gern Motorrad. Seitdem er Vater ist, jedoch nur noch am Set.

Der Bildhintergrund bekommt einen zart goldenen Akzent, wirklich, Groth kann gleichzeitig malen und sprechen. Von seiner neuesten Liebe zu einer türkischen Flöte namens Ney, die er in einer schnitzeljagd-artigen Weise ergattert hat, indem er für eine billige Ausfertigung vergeblich nach einem Mundteil fahndete.

Zufällig habe er von seinem türkischen Reinigungsfachmann den Tipp erhalten, es in Neukölln zu probieren, wo er nach einer wilden Suche bei „Leckerback“ und Herrn Eckerem gelandet sei, der ihm das Instrument zwar für viel Geld aber auch mit der Option verkauft habe, ihn Zeit seines Lebens im Spielen darin zu unterrichten. Herr Eckerem ist 79.

Besonders viel Aufmerksamkeit widmet er der Ausführung des Kehlkopfs und seines Brusthaars. Warum er das mache, wisse er nicht, meint er lachend. Leider wird unsere Sitzung spontan verkürzt. Ein Anruf aus der Schule meines Sohnes, dem jemand in den Rücken getreten hat. Ich glaube, ich werde den Kommunikationstrainer Groth noch mal treffen müssen.

Leander Haußmann

Es gibt Menschen, die haben sie einfach: Aura. Schon während ich das hinschreibe, ist es mir ein bisschen arg. Darüber spricht man eigentlich nicht. Sobald es da steht, wird sie brüchig. Wie ein Witz, den man erklären muss. Oder ein gelüftetes Geheimnis. Aber es stimmt schon − Leander Haußmann war einer der Gründe, warum ich Theater machen wollte. Seine „Romeo und Julia“ Inszenierung 1993 in München. Sein „Sommernachtstraum“ in der Felsenreitschule 1997, wo wir als Regieklasse der „Ernst Busch“ fast groupie-mäßig angereist sind, um zu verstehen, wie man einem Text aus längst vergangener Zeit heutige Leidenschaft einhaucht. Huch, da ist es wieder: Aura. Der Hauch der echten Präsenz.

Das passt, als ich nach über zwanzig Jahren und vier Stunden Kolumnenspionage nach der Theaterprobe zu „Woyzeck“ dem Regisseur Haußmann im Hof des Berliner Ensembles gegenübersitze und er vom Kreis zu reden anfängt.

 

Ich stocke noch: Drehbühne? Nein! Viel mehr! Der Kreis sei der wahre Sinn des Spruchs von den Brettern, die die Welt bedeuten! Alles sei eins! Aha. Ich ahne, was gemeint ist. Dennoch verliere ich gerade den Anschluss. So ist das mit der Bewunderung. Besser man schweigt und genießt. Das Dilemma: Gerade noch hat sein Woyzeck über Krieg und Frieden, Tod und Liebe verhandelt. Die Schauspieler und auch Techniker − alle triefen von echtem Schweiß, künstlichem Blut und noch nicht geweinten Tränen. Und wir sollen jetzt hier in der zugigen Öffentlichkeit ein wenig basteln?

Es fängt damit an, dass Haußmann etwas über meinen Eindruck zur Probe wissen will. Zwar fragt er nicht, aber ich spüre das. Ich aber finde noch keine Worte für die gerade gesehenen Bilder, schließlich bin ich kein Kritiker. Das irre Bild noch vor mir, wie Jesus und einer wie Mohammed miteinander ringen. Oh mein Gott. Ich fand es spannend. Poltert es aus mir raus und Haußmann schmeißt sich über den Tisch. Spannend? Das sei schlimm, spannend! Gerade so, als hätte ich gesagt: eine Katastrophe. Genauso schlimm sei es, von Kreativität zu sprechen. Das, was er hier tut, sei nicht „kreativ“. Es sei Handwerk, vielleicht.

 

Keine Berührungsängste

Oder Basteln? Morgens war ich mit einem Beutel voller Arbeitsmaterial angerückt, Pappe, Kleber, Cutter, weil Haußmann mal vorgeschlagen hatte, er könne einen Altar anfertigen. Ich war zu allem bereit, auch zur neuen Idee, vielleicht doch lieber etwas mit Fimo zu produzieren. Daher bin ich in der Probenpause noch mal schnell in den Bastelshop und leider nur mit Knete und Ton wieder herausgekommen. Würde das zarte Vorhaben scheitern? Aber Haußmann öffnet schon die Verpackung. Er ist schließlich der Großneffe von Meret Oppenheim und zeigt keine Berührungsängste mit dem Material. Er sagt sogar, dass sich das schön anfühlt. Und ich merke, dass sich meine Gesichtsfarbe leicht verändert. Ehrlich, ich bin verwundert. Er, der oft als Spaßrebell verschrien und von der Kritik niedergeschrieben wurde, sitzt voller Konzentration da und knetet. Kurz fragt er, ob ich ihm ein Thema geben wolle, ein kopulierendes Paar eventuell? Natürlich nur als Witz.

Haußmann erklärt, dass er schlicht schauen werde, was ihm das Material vorgibt. Wie bei der Arbeit mit dem Schauspieler, den er auch nur zu einem besseren machen wolle. Von der Form zum Inhalt. Sofort blättert sich meine Erinnerung an Regieseminare auf, wo wir Stanislawski gepaukt und Benjamin inhaliert haben, der ja vom Verlust der Aura sprach. Vielleicht liegt es daran, dass wir, während Haußmann modelliert, kaum sprechen − außer über den Mut, immer wieder etwas zu wagen, was erst keinen großen Sinn hat. Darum gehe es doch meist im Leben und in der Kunst. Ausprobieren und beobachten, was geschieht.

So entsteht vor uns ein wollüstiger Frauenleib, der anfangs noch die Beine öffnet und sie dann, ob der Stabilität, lieber wieder schließt. Aus dem lustvoll geöffneten Mund schleicht sich ein Gähnen. Fertig, beschließt er, kippt zum Test einen Becher Wasser drüber. Der eine Arm muss noch ab, weil unfertig besser ist. Und deshalb lass ich den letzten Satz weg.

Mackie Heilmann

Heute will ich nicht basteln. Nicht mit dem Kater. Nicht bei dem Wetter. Vor allem nicht, wenn ich plötzlich merke, dass meine schlechte Laune durch nichts zu verrücken ist. Selbst dann nicht, als ich meinen kleinen Sohn um eine Bastelidee bitte, und ihm nichts einfällt außer dem Wort „Furz“. So mache ich mich total unmotiviert auf den Weg zum Kurfürstendamm, um dort erst festzustellen, dass es zwei Eingänge zum Treffpunkt gibt. Den vom Theater am Kudamm und den von der Komödie. Als Ausrede taugt das aber auch nicht. Absagen geht jetzt irgendwie auch nicht mehr.

Da steht sie ja schon. Mackie Heilmann bereitet sich gerade auf eine Theatertournee mit dem Stück „Das perfekte (Desaster) Dinner“ vor und hat einen Großteil der Kostüme in Riesentüten dabei. Aus denen zieht sie auch gleich ein paar Mistelzweige, die sie einer Arbeitskollegin im Vorbeigehen schenkt. Ein kleiner Plausch, dann treffen wir auf den Bühnenmeister, der uns hinter die Bühne lotst.

Mackie, die ich per Zufall in der Sat.1-Comedy-Serie „Weibsbilder“ für mich entdeckt und für ihre ansteckende Energie bewundert habe, blickt mich erwartungsvoll an. Wir stehen da gerade mitten auf der Bühne des Kudammtheaters, im Bühnenbild der seit 18 Jahren laufenden „Feuerzangenbowle“. Der Bühnenmeister verschwindet oben im Stellwerk, um uns mehr Licht zu machen. Die Scheinwerfer strahlen uns an. Bevor ich noch mal aufs Klo verschwinde, schlage ich dem Improvisationstalent Mackie meine Bastelidee vor. Ich habe Malkreiden dabei. Papier. Es müsste unbedingt was Lustiges sein. Etwas, das gegen schlechte Laune hilft, die Idee stammt von meinem Sohn, stottere ich. − Einen Furz? Kann ich machen, sagt Mackie, ohne eine Miene zu verziehen.

 

Doch kein „Furz"

Auf dem Rückweg vom Klo habe ich aber dann doch ein mieses Gewissen. „Furz“ passt ja auch nicht immer. Außerdem hat meine Laune hier nichts zu suchen. Denke ich, als sich Mackie noch mal kurz frisch macht. Ihre Augen, die ganze Ausstrahlung: wohltuend wie eine warme Dusche. Hat sie denn nicht einen Vorschlag?

Sie lacht mich an: Weil sie eine ehemalige Waldorfschülerin ist? Das sind doch die, die ihren Namen tanzen. Was bei ihren 15 (fünfzehn!) Vornamen ziemlich dauern würde. Und so rutschen wir in ihre Familiengeschichten hinein; die 91-jährige Oma, die seit jeher malt und deren Nachempfindung von Picassos „Kind mit der Taube“ die eigene Tochter ins Bad gehängt hat, um über die tristen Kacheln hinwegzutrösten. Die Oma allerdings dachte, es hänge dort, weil man es nicht mag. Genau das Gegenteil sei der Fall!

 

Die irrwitzige Geschichte vom Opa, bei dessen Leichenschau der Vorhang aufging und man den Rosenkranz statt aufs Kissen um seine Stirn drapiert hatte. Worauf man hinter verschlossenem Vorhang noch mal nachkorrigierte. Oder der Kuschelesel „IA“, der eine Art Familienmitglied ist, seit ihn Mackies Mutter von der bestandenen Führerscheinprüfung mitgebracht hat und den Mackie vor einiger Zeit mit einer befreundeten Eventagentur auf Kuscheltierreisen geschickt hat (teddy-tour-berlin.de).

 

Chagall gegen die schlechte Laune

Drumherum gewinnt die Bastelidee an Gestalt. Zu Ehren der Oma soll es eins der blauen Chagall-Pferde werden, obwohl sie kein Talent zum Malen habe. Dann erzählt sie weiter, stellt auch mir Fragen, berichtet von einem Charity-Backbuch für ein Berliner Hospiz, zu dem sie Vanillekipferl beigesteuert hat. Währenddessen strichelt Mackie hinters Tier einen Regenbogenhimmel und tupft Blütenfutter auf die Wiese. Als Mackie ihren Hasen-Esel fertig gemalt hat, zieht sie die tatsächlich passende Pferdebluse aus der Wunderkaufhaustüte, stellt sich für mein Abschlussfoto in den Zuschauerraum, um auf den Sitz steigend mit dem kleinen Werk zu posieren. Ist auch völlig einverstanden damit, dass ihr Pferd eigentlich eins von Franz Marc werden sollte. Und die Laune am Schluss? Bestens. Mackie, vielen Dank, du hast meinen Tag gerettet.

Rebecca Immanuel

Neulich rief mich die Mutter eines Freundes meines Sohnes an und fragte mich etwas verschämt, ob sie das Layout seiner Geburtstagseinladung von mir übernehmen dürfe. Sie stecke voll im Stress. Das Kopieren der Idee würde ihr absolut aus der Klemme helfen. Nun. Die Idee dafür stammt zwar eigentlich nicht von mir, aber ich habe ihr gern die Erlaubnis erteilt.

 

Ãœberforderung ist nie gut. Vor allem nicht, wenn sie sich auf die eigentlich schönen Seiten unseres Daseins überträgt. Aber warum, fragt man sich in einem solchen Augenblick,  warum macht man es sich nur so schwer?  Es geht doch nur um einen Kindergeburtstag! Eine befriedigende Antwort darauf finde ich allerdings auch nicht leicht. Schließlich liegt doch in der Schwierigkeit manchmal gerade die Herausforderung, die man braucht, um sich und das Leben stärker, intensiver zu empfinden! Wäre das Erstürmen eines Gipfels eine einfache Angelegenheit, würden die meisten Bergsteiger doch lieber unten bleiben.

Stimmt das so? Zum Glück treffe ich ein paar Tage darauf die Schauspielerin Rebecca Immanuel zum Basteln für den guten Zweck. Im Grunde sieht sie aus wie ein Star. Mit kluger Eleganz hat sie sich in der preisgekrönten Serie „Edel und Stark“ ins Gedächtnis der Zuschauer gespielt. Sie schien einfach alles richtig zu machen. Sogar der sonst eher bissige Harald Schmidt ist damals mit ihr als Talkshowgast ganz handzahm geworden.

Aber dann kam das Aus der Serie. Die ihr nahe stehende Agentin starb völlig unerwartet über Nacht. Rebecca Immanuel hat, anstatt sich in Arbeit zu stürzen, erst mal eine Auszeit genommen und den Jakobsweg beschritten. Darauf folgten diverse Praktika mit Tieren und beim Kunsthandwerk, bis sie sich wieder bereit fühlte, in Rollen zu schlüpfen.

Wie könnte man das denn überzeugend tun, wenn man nicht mit sich selbst im Reinen wäre? Rebecca Immanuel ist es jedenfalls, im Reinen mit sich. Wirklich. Wie sie da in meinem Atelier steht: das Haar glänzend wie aus der Shampoowerbung, darunter ein Julia-Roberts-Lachen... Sie  erinnert mich an eine gute Fee. Diese sollte man besser nicht gleich ausfragen. Frei nach dem Motto: Liebe Fee, warum bist du nur so schön? Und bist du dir auch sicher, dass du mir meine drei Wünsche erfüllen kannst?

Nein, das wäre doch etwas aufdringlich und unverschämt. Man belässt es lieber bei der Erscheinung und freut sich.

Noch dazu hat sie einen vielversprechend prallen, handbestickten Stoffbeutel mit eigenem Arbeitsmaterial dabei. Ihre jetzige Agentin hatte mir per E-Mail schon angedeutet, worauf ich mich einlassen würde. Frau Immanuel würde „Städte und dreidimensionale Geschenkgutscheine basteln, außerdem liebt sie die Arbeit mit Ton und Fimo-Knete.“ Ich dachte schon, dass ich mich zurücklehnen könnte, als mich Rebecca Immanuel kurz mit einigen anschaulichen Anekdoten erfreut.

Als Kind habe sie einmal eine CD verschenkt und dazu passend einen handgemachten CD-Spieler aus Karton beigefügt. Sie hätten nicht viel Geld besessen, daher habe sie auch das Cluedo-Spiel selbst mit Zeitschriftengesichtern nachgebaut. Und jedes Jahr zu Weihnachten habe sie den Baum mit farblich völlig neuem Dekor verziert. Also − will die gute Fee Immanuel wissen − welche Aufgabe wolle ich ihr denn nun stellen. Sie brauche das ganz konkret und dann würde ihre Fantasie schon den Rest übernehmen.

Ob ihres überschwänglichen Elans komme ich etwas ins Schwitzen. Ich erzähle ihr von der Kindergeburtstagseinladung und von dem unnötigen Leistungsdruck, mit dem man seinen Alltag belastet, statt einfach zu leben. Ja! Wie wäre es, wenn sie zum Beispiel eine Art Einladungskarte zum Leben gestalte? − „Mann oder Frau?“, will Rebecca noch wissen.

Dann legt sie los, packt eifrig Stifte, Aquarellkasten, unzählige Pinsel, Kreiden, Klebefilm, Schere aus und ist zwei Stunden lang komplett vom Bastelrausch absorbiert. Dabei schafft sie es auch noch zu schwärmen: von ihrem Haushaltsführerschein, der Liebe zu den Menschen, vom Glück der einfachen Dinge... Bis ich mich angesichts dieses Erglühens von Herz und Auge doch leicht unter Druck komme. Sollte ich selbst wieder mal basteln? Ich werde meine gute Fee fragen, die weiß bestimmt Rat!

Peter Jordan

Peter Jordan ist seiner eigenen Aussage nach einer, den man schon mal in der Straßenbahn anstarrt, um partout herauszufinden, woher man ihn verflixt noch mal kennt. Aus dem Supermarkt? Der Stammkneipe? Von Freunden? Oder gar aus dem Fernsehen? Ja, genau! Aus der Glotze! Da spielte er im Hamburger Tatort den Chef von Hauptkommissar Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) und kümmerte sich Batus Blessuren genauso beflissen wie um seine Termine. Eben wie eine gute Ehefrau, scherzt Jordan, der sowieso viel scherzen wird an unserem lauschigen Bastelmittag.

Lauschig? Ich hatte mich via Google und Presseartikel eingelesen und auf einen zurückhaltenden, wohl dosierten Ex-Dortmunder und gleichfalls mit bewusst reduzierten Darstellungsmitteln agierenden Ex-Thalia-Theater-Schauspieler eingestellt. Dementsprechend wenig verwundert war ich auch über die Info seiner Presseagentur, dass er gern was aus Ton modellieren würde. Was eher beschaulich daherkommt, quasi ein Kreativakt auf der sicheren Seite; Ton ist geduldig. Man kann sich Zeit lassen. Etwas ohne großen Schaden und Risiko verändern.

 

Dass dieses ganze Image aber irgendwie nicht stimmt, hätte ich bereits ahnen müssen, als ich ihn am Abend zuvor in der Inflationsrevue „Wolf unter Wölfen“ im Deutschen Theater splitternackt in den viel zu kleinen Bottich springen gesehen habe. Das spielt er mit so prompter Selbstverständlichkeit wie kurz zuvor den sturzbetrunkenen, dann uferlos verzweifelten Rittmeister von Prackwitz. Spätestens als er bei einer Stute Geburtshilfe geleistet hat und mit blutigen Armen auftritt, habe ich das mit dem Ton verworfen.

 

Kann man aus einer Tupperdose Töne zaubern?

Aber was könnte ich denn einen klugen, nicht unkritischen Menschen wie ihn basteln lassen? Noch dazu hatte er mir nach der Vorstellung bei einer ersten Kontaktaufnahme erzählt, das wichtigste bei einem Regisseur, eigentlich überhaupt sei der gute Stil. Das hört sich eher teuer an, wo doch alle Welt vom Sparen redet! Mal sehen, ob sich guter Stil aus einer Ansammlung von billigen oder gefundenen Utensilien gewinnen lässt: Schüsseln, Dosen, Korken, Strippe, Federn... Irgendwo hatte ich gelesen, dass Jordan die Musik für sich entdeckt hat. Meine Frage: kann man aus einer Tupperdose Töne zaubern? Und das Ganze später für einen guten Zweck versteigern?

Jordan strahlt mich belustigt, aber auch wissend an. Das müsse man eben mal herausfinden, tönt er und stürzt sich äußerst geschickt ins Bauvergnügen. Dabei gibt er zu bedenken, dass ein Schauspieler ein Instrument sei, das sich selbst zum Klingen bringen müsse. Manchmal sei er aber auch nur ein leeres Gefäß, das mit irgendwas gefüllt wird. Wie zum Beispiel mit der Ansage, ein Instrument zu bauen.

Er selbst wäre beim Anblick der aschgrauen Tupperdose ja nie im Leben darauf gekommen! Das unterscheidet wohl den Darsteller vom Künstler, wirft er nachdenklich ein, während seine begabten Hände am Plastik herumsägen und meine Lieblingsschere durch die Luft wirbeln lassen, bis der Griff abbricht. Oh, sagt er leise und nimmt die neue Schere mit ungebrochener Begeisterung an. Drückt die Blechdose in den Bauch des Kunststoffbehälters. Probiert immer wieder mit verschiedenen Gummis und Nylonfäden herum, bis er mindestens drei verschiedene Töne erreicht.

Früher habe er viel gebaut, zum Beispiel leuchtende Duschköpfe, die er aus dem Krankenhaus bezog, als er noch vernünftig und Arzt werden wollte. Sein Vater habe ja auch schon im Krankenhaus gearbeitet, im Irrenhaus, setzt er hinzu, als sei es völlig naheliegend, aus Wasserhähnen Leuchten zu basteln. Nein, Jordan ist nicht verrückt, nur Großstadtneurotiker, wie er selbst verkündet. Und ein großartiger Virtuose, der nebenbei von seiner Lebensgefährtin und Schauspielkollegin Maren Eggert auch noch zum Vater gemacht wird. Wenn das mal kein stolzer Aufbruch in die Welt des hemmungslosen, nicht enden wollenden Bastelns und Musizierens ist!

Das fertige Ding macht Zaubertöne und sieht nach was aus. Ein echtes ozeanisches Tupperklangboot. So viel zum Schauspielgefäß Jordan − von wegen leer! Er schreibt es zum Schluss als Katharsis ins Gästebuch: Endlich Künstler!

Jan Kage

Kennen Sie das auch? Das Leben ist eigentlich schön, Job läuft, Familie gesund, Weltlage unverändert, und das Wetter ist auch nicht so übel. Dennoch: Etwas fehlt. Man spürt es gleich am Morgen. Ein unbestimmbares Loch zwischen den Kniekehlen, hoch bis zum Bauch vielleicht und dann auch noch im Brustraum. Da ist irgendwie nichts. Leere. Ich rede nicht von Depression. Auch nicht von einer aufkeimenden Grippe oder der schlichten Tatsache, den Alterungsprozess zu spüren. Oder doch? Alter! Auweia, stimmt. Vielleicht hinterlässt der Verlust des jugendlichen Furors dieses Leeregefühl. Ein Aufbegehren gegen die Endlichkeit.

Das traf mich neulich besonders, als ich feststellen musste, dass sich ein Kurator aus einem ganz bestimmten Grund nicht auf meine E-Mail gemeldet hatte. Er war einem Herzinfarkt erlegen. Ich kannte ihn nicht sehr gut. Dennoch hat mich die Nachricht getroffen. Sie löste, wie öfter in änlichen Fällen, bei mir eine Genusspanik aus. Voller Inbrunst möchte ich mich da ins Leben stürzen! Was, wenn es morgen schon vorbei ist und es sich ausgebastelt hat? Habe ich denn schon eine Antwort auf den Sinn von Kreativität erhalten? Oder ist allein die Frage schon falsch? Wie man es dreht, wird es kompliziert.

 

Aus diesem Grund war ich besonders froh, mir einen dafür perfekten Bastelkandidaten ins Atelier zu holen. Einen Macher! Jan Kage alias Yaneq ist ein Tausendsassa im Kunstbetrieb. Laut seiner Website versteht er sich als Autor, Idealist, Journalist, Kunstraumbetreiber, Kurator, Lover, Moderator, Musiker, Publizist, Rapper, Tänzer, Vater, Veranstalter. Vielen wird er bekannt sein durch seine Partyreihe „Party arty“, als deren Diktator er sich nicht ohne Ironie sieht. Bei Flux FM moderiert er die Kultsendung „Radio Arty“, die den Spagat zwischen „ernster“ Kunst und ihrer locker-flockigen Vermittlung wagt.

Endlich keine Zweifel mehr. Antworten! Also frage ich Yaneq per E-Mail, ob er denn einen konkreten Bastelwunsch habe? Er sei kein Montessori-Schüler, schreibt er knapp zurück, daher werde es wohl eine Punkrock-Impro. Ich bin schon am Juchzen. Doch wie bereitet man sich auf dieses Angebot vor? Wie plant man das, ohne die nötige Lockerheit zu torpedieren?

Bei Punkrock muss ich immer daran denken, wie die früher die Gitarren gegen die Musikboxen gekloppt haben. Das kann ich mir nicht leisten. Erst als ich mein runtergerocktes Atelier genauer betrachte, wird mir klar, worauf das bei mir hinausläuft: Mein Boden braucht ohnehin dringend eine Generalüberholung. Warum sich nicht vorher nochmal darauf austoben? Darauf könnte doch etwas fein Trashiges entstehen!

Als ich mit meinem gut ausgeklügelten Konzept fertig bin, versetzt mich Jan Kage. Ich sitze zwischen den Farbtöpfen und warte. Habe ich den Termin falsch notiert? Bang schreibe ich ihm eine E-Mail und hoffe, dass er antworten wird. Punkrock ist schließlich gefährlich. Die zweite Verabredung klappt.

Gesund und munter steht Jan in meiner Ateliertür und wundert sich, dass ich daran gezweifelt habe. Überhaupt wirkt er sehr aufgeräumt und neugierig auf das, was ich für ihn vorbereitet habe. Als ich auf den farbverklebten Boden samt Pappe weise, zögert er. Kann ich von einem erwachsenen 1,93-Meter-Mann erwarten, dass er sich zwischen Lappen und Pigmentstaub wie eine Leiche hinlegt und seinen Umriss nachzeichnet, nur weil er Fachmann für Streetart ist?

Ich selbst komme mir sehr verkopft vor. Passt er denn überhaupt auf die Unterlage? Doch Yaneq hat schon eine Idee, probiert schon mal im Sitzen die spätere Zeichnungsgröße aus, lässt sich einen Edding in die Hand drücken und skizziert sein Abbild nach. In die Umrisse schreibt er Wörter wie Freundschaft, Lächeln, Dates, Zwischenraum, Pain, Fight the Power, Mama (love) und natürlich Dance/move. Fügt noch in die Leere im Bauch den Dreiklang Wut, Hunger, Lust hinzu und betrachtet mit mir sehr zufrieden beim Kaffee das fix und fertige Riesendings an der Wand. Die Hand an den Farbflecken. Sein Fazit: Passt! Ich werde es beherzigen: Leben! Machen! Punkrock!

Paula Lambert

Also ich rede wahnsinnig gern über Sex. Sex und Kunst haben für mich viel gemeinsam. Man sollte die inneren Zensoren abschalten, damit es gut wird, ein bisschen was von der Sache verstehen und ein geeignetes Gegenüber haben. Stundenlang könnte ich mir darüber Gedanken machen, zumal ich gerade in einer Midlife-Crisis stecke und einen pubertierenden Sohn habe, der darüber nun gar nicht reden will. Und schon haben wir den Schlamassel. Wir leben in einer übersexualisierten Zeit, die alles über Eros und Co zu zeigen scheint. Aber wie unterstützt man am besten sein eigenes Kind, das nicht gern darüber spricht, besonders nicht mit seiner Mutter? Und das neulich mit bitterer Miene eine Banane und ein Kondom verlangte, um sie − wie vom Lehrer aufgegeben − in den Sexualkundeunterricht mitzunehmen?

 

Was ist guter Sex?

Ich schreibe die Journalistin/Kolumnistin für „die schönste Nebensache der Welt“, Paula Lambert, an; die soll helfen. Gerade plant sie mit „Jugend gegen Aids“ eine Aufklärungskampagne, die heikle Themen vielleicht mal mit etwas mehr sinnlichem Humor zu packen weiß. Meine erste Begegnung mit Paula lief über ihr Buch „Keine Angst, ich will nur Sex“, das ich meiner besten Freundin schenkte. Es sollte eine zwanglose Aufmunterung sein. Meine Freundin aber verließ ihren Partner. Der wiederum gab wohl mir die Schuld daran. Trotzdem. Vielleicht hatte Paula etwas angestoßen, was meine Freundin zu einem erfüllteren Menschen werden ließ. Mit dem Glück kenne ich mich seit dem „Basteln“ auch ein wenig aus. Basteln macht glücklich. Und Sex ja auch. Aber was ist denn guter Sex?

Eine Welt voller Qualitätsurteile. Was ist ein tolles Buch? Ein gelungenes Bild? Was macht ein Essen besonders? Warum ist ein Staubsauger besser als der andere? Klar kann man dafür Bewertungspunkte vergeben. Aber welche Kriterien soll man anwenden, wenn es um Gefühle geht?

Oder um einen Bereich, über den schon alles gesagt zu sein scheint. Wo es aber immer noch nicht normal ist, dass sich Menschen gleichen Geschlechts lieben und das auch amtlich machen wollen? Kann doch eigentlich nicht so schwierig sein?!

Paula Lambert kommt eine Stunde zu spät, dafür geduscht und bester Laune in mein Atelier. Sie hatte angedeutet, dass sie zum Basteln quasi „keine Hände“ und durch ihre eingeschränkte Sehfähigkeit wohl auch sonst nicht für die Kunst geeignet sei. Dennoch ruft sie gleich voller Enthusiasmus, dass sie gern ein blaues Pferd malen wolle. Einen Augenblick lang überlege ich, ob es nicht doch gewitztere Themen gibt, als Paula schon den gigantischen Pizzakarton entdeckt (Pizza macht Jungs immer froh) und zwei Zeitschriften. Daraus könne man doch ein hervorragendes Schaubild kleben. Eins, das alles sage, ohne zu viel erklären zu müssen. Und das schnell gemacht sei, da Paula selbst Kinder hat und mit ihnen heute noch auf ein Sommerfest muss.

Während Paula eine Discokugel ausschneidet, liest sie sich schon mal in einem Artikel über Ryan Gosling fest, kommt ins Plaudern über Spitzenmänner und die Vorteile von Olivenöl bei Scheidentrockenheit. Wir reden viel, über ihre TV-Sendungen, fiese Kommentare über zu viel Hüftspeck und die Schwierigkeit, einen Film über wahre Selbstliebe finanziert zu bekommen (darüber schreibt sie ihr nächstes Buch). Dann pappt sie eine Riesentoastbrotscheibe in die Bildmitte und erzählt von der Beschwerde einer Leserin ihres vorletzten Ratgebers („Keine Angst. Der will nur spielen.“). Dass die danach partout keinen Mann gefunden habe und daher das Buch nichts tauge.

 

Essen macht glücklich

Kurzum, Paula ist schlau und unterhaltsam, vor allem wie sie in jedem vierten Satz über ihr Bastelwerk klagt. Mit dem ist sie erst einverstanden, als sie dicke rote Farbe verteilt und „mit Liebe!“ drauf- schreiben darf. Mit dem Hinweis, dass Jonathan Meese seine Bilder auch nicht interpretiere, entschwindet sie in den sonnigen Nachmittag.

Meine Jungs zu Hause beachten das fröhliche Diagramm kaum. Erst als die Rückseite vom Pizzakarton wieder zum Vorschein tritt, werden sie gesprächig. Mama, was gibt es heute zum Abendessen? Ja, auch Essen macht glücklich.

Toni Mahoni

Berlin -Ab heute wird der Spieß mal umgedreht; über zwei Jahre lang habe ich Kulturschaffende gemalt, um ihnen im Sitzungsgespräch inspirierende, überraschende Antworten zu entlocken und aus ihrem Gesichtsausdruck zu lesen, wie es ihnen und mir dabei ergeht: Warum tun wir uns das eigentlich an, immer wieder neue Ideen in den Raum zu werfen, aus dem Nichts Wörter zu schöpfen, dem Unaussprechlichen Bilder zu widmen: Hat das irgendeinen Sinn? Shakespeares Antwort: Frag nicht, machen! Und da schon Joseph Beuys vor bald 30 Jahren verkündet hat, dass ja jeder ein Künstler sei, legen wir voller Enthusiasmus los, bewaffnen uns mit allerlei Arbeitsmaterial und bestellen die Kreativen dieser Stadt zum Test ein. Jetzt wird gemalt, gebastelt, gebaut, was das Zeug hält!

Toni Mahoni wurde an dieser Stelle bereits als Unterhaltungskünstler und Autor vorgestellt. Dass er noch über ganz andere Talente verfügt, hat er uns bisher verschwiegen, ist jedoch hellauf begeistert, als er die Anfrage bekommt. Genau sein Ding! Er bringt Fimo mit und baut die Liebe. Als er ins Atelier steigt, wird sofort deutlich, woher dieser Schwung rührt: Er ist über beide Ohren verliebt.

 

Das Rauchen vergessen

Wie ein Chirurg packt er sein Modellierbesteck aus der Blechdose, drapiert den Tabak daneben und vergisst vor lauter Kreativschub schon mal das Rauchen. Mit wenigen Strichen entwirft er eine erste Skizze, indem er selbst verschiedene Haltungen und Posen einnimmt, den Kopf in den Nacken werfend, die Hand am Herz. In dieser ganzen Theatralik bleibt er ausgesprochen spielerisch und humorvoll, ohne den Ernst der Angelegenheit außer Acht zu lassen. Schließlich produziert er hier Kunst, die am Ende der Serie zu einem guten Zweck versteigert werden soll!

 

Der angenehme Geruch der Knetmasse

Geschickt biegt er sich den Draht zurecht, korrigiert das Längenverhältnis der Gliedmaßen und legt los. Mit Hingabe zum Detail knetet er Schnürsenkel, verändert gekonnt den Hautton. Zugleich steigt ein angenehmer Geruch aus der Knetmasse auf. Schlagartig werde ich in die eigene Kindheit zurück versetzt, in der es weniger darum ging, ob ein Spielzeug auch ökologisch einwandfrei als vielmehr schön bunt und Hauptsache irgendwann als eindrucksvoller Staubfänger im Regal verschwindet. Während ich früher eher für die Anfertigung von Broschen für Oma und eine Schmuckdose für Mama zuständig war, hat Toni Mahoni schon früh seine Vorliebe für die figürliche Darstellung entdeckt. Sehr zur Freude seiner zahlreichen Freunde, die er schon mal mit comicartigen Nacktdarstellern versorgt. Ich komme kaum mit dem Fotografieren hinterher, um nur ja jeden einzelnen Arbeitsschritt zu dokumentieren, während er über Indianerspiele in der Kindheit und die Chemie der Liebe plaudert. Man merkt schnell, dass er viel liest und sich aus dem Wissenschaftsteil der Zeitung auch gern ein paar Anekdoten holt.

Dass beim Mann das Testosteron und Serotonin in der ersten Kennenlernphase abnimmt, wobei es bei der Frau genau anders herum passiert. Daher würden sie sich einander annähern, sagt er und kerbt mit einem Schmerzhaken, wie er ihn nennt, die Verzückung ins Gesicht seines Männchens. Man dürfe nicht vergessen, dass gerade die verminderte Serotoninausschüttung erstaunliche Parallelen zu psychischen Krankheiten aufweise. Außerdem würde dadurch die Hemmschwelle sinken. Zumindest beim Mann würden diverse Warnsignale übersehen, die ihn unter normalen Umständen von gewissen Aktionen abhalten würden. Plötzlich sei man zu allem bereit, denn Serotonin zähle als Vernunftbotenstoff.

Um den Abfall auszugleichen, steige das Dopamin an, quasi der „Glücksbote“, der diese Rolle übernehme und einen zur ständigen Euphorie verführe. Allerdings dauere das im Schnitt nur höchstens 36 Monate an, meint Mahoni beruhigend, das Skalpell für die Mundpartie in der Hand. Ob er seinem Schützling einen Namen geben würde? Toni Mahoni tauft ihn „Der Gratulant“, tritt den Aluminiumsockel noch auf meinem Boden glatt und übergibt ihn mir wie einen Pokal, damit ich ihn in meinem Backofen bei saunamäßigen 90 Grad hartschwitzen lasse.

Manuel Möglich

Der junge Mann mit dem unbestechlichen Namen Manuel Möglich könnte auch einem Szenemagazin entstiegen sein. Einer von den angesagten Leuten mit Bedhair-Look und Dreitagebart. Natürlich blitzen bei ihm die Tattoos kreativ bunt auf den athletischen Armen. Dabei ist Manuel Möglich ein ganz seriöser Fernsehjournalist, zumindest so etwas in der Art. Mit seiner Dokumentationsfilmreihe „Wild Germany“ hat er sich jetzt zu Recht die vierte Staffel erarbeitet, letztes Jahr gab’s dafür den Deutschen Fernsehpreis. Was ganz locker daherkommt, überrascht mit bisher unbeackerten Themen wie Bugchasing (so nennt man es, wenn Menschen sich absichtlich mit Aids infizieren) und Dogging (hierbei handelt es sich um Sex in der Öffentlichkeit). Es ging auch schon um Illegalität in Deutschland oder um Sicherheitsverwahrung. Das Besondere daran ist, dass der Interviewer Empathie und „Überforderung“ zulässt. Einmal lässt er, weil es ihm vor Entsetzen die Sprache verschlagen hat, einen inhaftierten Triebtäter einfach stehen. Da sagen seine blauen Augen oft mehr als Worte.

 

Nun. Wir haben ihn also für die Serie angefragt und waren nicht sicher, ob ihm dieses Experiment Abenteuer genug sein würde. Er könne nicht malen, so die Antwort. Aber er wolle es versuchen. Ich solle mir was für ihn ausdenken.

Am Vorabend ruft er an und will wissen, was ihn in etwa erwartet. Ist es zu plump, ihn nach einem Entwurf für ein Tattoo zu fragen? Mein Hintergedanke: Da ich selbst keines habe und auch nicht vorhabe, mir eins stechen zu lassen, könnte er sich für ein Motiv ins Zeug legen und versuchen, mich zu überreden. Prompt hätten wir eine Diskussion.

 

Werkzeuge: Metallic 3-D-Liner und Papier

Mein Mann blickt mir beim Entwickeln der Idee über die Schulter, sieht das stylische Foto von Möglich und findet die Idee plötzlich nicht mehr so gut. Doch darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.

Im Atelier am Folgetag präsentiere ich also die Werkzeuge: Metallic 3-D-Liner und Papier, Aquarellfarben (man merkt, dass ich von Tattoos keine Ahnung habe) und schließlich auch eine Holzschnittplatte mit scharfem Hohleisen. Das wird es sein! Obwohl Manuel Möglich vorgibt, nur einmal in der Schule mit Linoleum ganz ähnlich und wenig erfolgreich hantiert zu haben, ist er sofort bei der Sache.

Aber vorher soll er mir noch seinen Körper zeigen, also seine Körperbilder oder sie zumindest beschreiben. Er betont, dass sie eher klassisch seien und keine große Geschichte dahinter stecke. Stimmt: den Anker meint man schon gesehen zu haben, auch einen Totenkopf (mexikanisch); am Innenarm, gleich in Herznähe ein Bildnis der Mutter in jungen Jahren. Ist das noch klassisch? Und wie fand sie das wohl? Inzwischen super. Ich überlege, wie ich das auf der spurenlosen, beschützenswerten Haut meines Nachwuchses fände und beschließe, diesen ganzen Themenkomplex vorerst auf Eis zu legen. Ich habe ja noch ein paar Jahre, bis meine Kinder flügge und möglicherweise stechlustig werden. Vielleicht ist bis dahin die Mode wieder verschwunden. Wenn nicht, dann aber bitte kein Bildnis von mir. Ein Anker wäre ganz nett. Endlich weiß Möglich, was er in die inzwischen schwarz grundierte Holzplatte ritzen wird. Ein Messer! Warum denn ausgerechnet ein Messer? Das passe gut auf einen Trizeps, sagt er. Außerdem stelle das für einen talentfreien Künstler keine zu hohen Anforderungen. Auf Papier skizziert er zwei Modelle, wobei das eine mehr nach Butter- und das andere nach Brotmesser aussieht. Ich ermutige ihn und sage, dass so ein Buttermesser auf dem Oberarm irgendwie auch eine eigene Geschichte erzähle. Da lacht er und legt etwas mehr Martialität in die Vorzeichnung auf dem Holz. Jetzt schaue es mehr nach Fleischermesser aus, sagt er, und ich weiß nicht, ob das ästhetisch anstrebenswerter ist. Aber ich kenne das: Jungs brauchen Waffen, das fängt beim Taschenmesser an, das sich jeder Kerl ab fünf wünscht. Anders als bei einer Tätowiernadel stechen sie sich damit immerhin nicht absichtlich.

Ansgar Oberholz

Können Sie ein Geheimnis für sich behalten? Diesmal habe ich ein bisschen geschummelt. Heute bastelt nicht die Prominenz, sondern der Ort steht im Vordergrund. Manchmal ist ein Ort viel berühmter und anrüchiger als die Personen, die er anzieht. Nein, wir gehen nicht ins „Maxim“, wie uns launig ein uralter Schlager verheißt. Auch nicht ins „Café de Flore“, wo dank Sartre der Existenzialismus wohl erfunden wurde. Ebenso wenig in „Harry’s Bar“, wo einst die großen Amerikaner Ernest Hemingway und Truman Capote ihren Gin schlürften und wo übrigens das Carpaccio erfunden wurde. Heute suchen wir für unsere Bastelstunde ein wenig Magie in Zeiten der Transparenz. Zumal derzeit jeder von jedem alles weiß oder wissen will via Online-Kommunikation und überhaupt: das Netz! Selbst die NSA spielt in unsere Überlegungen mit hinein. Ob die jetzt weiß, wo wir hingehen?

Wir verkünden es hiermit: An den Ort der Vernetzung schlechthin − das „Sankt Oberholz“ am Rosenthaler Platz. Die Wiege der digitalen Bohème! Da ein Ort an sich nicht basteln kann, haben wir den Besitzer Ansgar Oberholz gebeten, sich stellvertretend ins Zeug zu legen. Was macht aus einem Platz wie diesem einen der Inspiration, an dem sich tagtäglich Hunderte einsame Menschen aller Altersklassen hinter ihren Laptops verschanzen, um sich in die virtuellen Welt zu verkrümeln? Schon Ashton Kutcher, laut Internet der bestbezahlte Sitcom-Darsteller, hat hier seinen Espresso genossen. Es geht das Gerücht um, dass selbst WikiLeaks-Aktivist Julian Assange sich gelegentlich heimlich in einer Oberholz-Ecke herumgedrückt hat. Unbehelligt, wie hier jeder sein Ding machen kann.

 

Im Hasendress auf einer angeblichen Kostümparty

Ich komme mir ein wenig komisch vor mit meinem Plan, Ansgar Oberholz vor all den unbeteiligt wirkenden Gästen ganz analog basteln zu lassen. So als ob ich im luftigen Hasendress zu einer angeblichen Kostümparty erscheine. Aber Oberholz nimmt mir mit einem nassforschen Grinsen die Bedenken; er hat extra den prominentesten Tisch direkt am Fenster reserviert und meint, dass das Ganze eventuell schon vor der Veröffentlichung in der Zeitung online kommentiert werden wird. Soweit zum Thema Geheimhaltung. Also mich beunruhigt das. Derweil schwenkt der Gastronom auch schon seinen Karton. Darin: lauter kuriose Fundstücke der letzten Monate. Diese Sachen wurden von Gästen schmählich vergessen. Ganze Schlüsselbunde. Kontaktlinsenbehälter. Eine Filmdose samt Negativ. Unausgepackte Geschenke. Ab und zu berichtet Ansgar Oberholz darüber in seinem Blog. Ãœberhaupt schreibt er neuerdings neben seiner Arbeit als Wirt und Verleger. Zuletzt natürlich ein Buch über sein Café, um dem Mythos einigermaßen gerecht zu werden. Man merkt sofort, dass er Geschichten liebt.

Fürsorglich legt er eine ganze Reihe von Klebebändern vor sich ab und erzählt von den Dingen, die schon mal absichtlich zurück gelassen wurden. Wie unter Tränen ein Freundschaftsring. Den wollte auch der frisch getrennte Typ nicht mehr haben. Gibt es auch Erfreuliches? Auf den ersten Blick wirkt manches wie Abfall. Eine kaputte PC-Maus. Eine angebrochene Schachtel Anis-Halstabletten. Was ist mit dem Fotoalbum aus den 1970ern, worin die Bilder schon einigermaßen vergilben, aber dennoch sämtliche Gesichter gut zu erkennen sind?

 

Heute könnte man die Gesichtserkennung starten. So wundern wir uns nur, warum niemand die intimen Einblicke ins Private zurück haben will. Und was ist mit dem Videotheksausweis? Darf man den einfach so in ein Kunstwerk verwandeln? Unschlüssig schiebt Oberholz die Preziosen hin und her. Die respektvolle Unsicherheit weicht, als er das aktuelle Prachtstück seiner Sammlung holt. Ein einwandfreies SM-Outfit. Nachdem er einmal tief Luft geholt hat, wagt er es auch, das unberührte Geschenk auszupacken. Es finden sich ein Hemd Größe XL und die Autobiografie von Steve Jobs. Das passt. Oberholz hat auch etwas erfunden; es ist ein kleines, sorgsam gebasteltes Ding, auch Rätsel genannt. Er hat mich um Geheimhaltung gebeten, welche Dokumente er zwischen die Buchseiten geschoben hat. Ich schweige.

Milan Peschel

Das Wörtchen Freiheit ist spätestens seit dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ wieder in aller Munde. Die Freiheit gilt es zu verteidigen! Niemand darf sie uns nehmen. Doch wie frei sind wir wirklich? Die Freiheit dieses Textes ist schon vorab durch das Zeilenmaß begrenzt. Dabei möchte er schon jetzt jeden Rahmen sprengen und eine ausufernde Eloge über einen großartigen Darstellungskünstler verkünden: Milan Peschel! Allein darüber zu schreiben, was er schon gespielt und inszeniert hat, und was man an ihm schätzt, und was noch alles zu erwarten ist − uff! Kein Platz.

 

Immerhin gibt es einen konkreten Anlass. Jetzt hat er einer nicht minder schlau-fertigen Filmfigur seine Stimme geliehen. „Asterix“ spielt im „Land der Götter“ und ist erstmals als 3D-Animation im Kino zu bewundern. Eigentlich wollte ich mit Milan einfach basteln. Weil es schön ist und er wunderbar malen kann. Außerdem will er es auch. Nur hat er keine Zeit. Gerade noch, um Promo für „Asterix“ zu machen.

Mir soll es recht sein. Ich wollte schon immer mal auf eines dieser Presseevents wie in „Notting Hill“, wo sich der unbekannte Buchhändler Hugh Grant zum Star Julia Roberts vorschmuggeln muss − toller Film, ich assoziiere hier frei, obwohl Milan Peschel und ich nicht miteinander techtelmechteln, sondern einfach nur basteln wollen.

Vorher muss ich mir früh morgens den Asterix-Film ansehen. Schon klar, ich kann nicht über etwas reden, wovon ich nix weiß, jedoch muss ich das vorher noch schriftlich bestätigen. Man lernt nie aus. Morgens aber ist mein Kind krank, und wir verpassen fast den Kinotermin, weil es mit Kind eben länger dauert und noch die Kotztüte eingepackt werden muss. Verletze ich eigentlich etwaige Sperrfristen, wenn ich schon mal verrate, dass ich lachte? Ich wage es, und nehme mir die Freiheit. Nur lachen die anderen Schreiber eher lautlos. Profis. Wo bleibt das befreite Auflachen, wenn es bei „Asterix“ doch genau um diese Probleme geht: Gentrifizierung, Einwanderungspolitik, Kapitalismuskritik, Ausländerfeinlichkeit... Und bei aller Relevanz ist der Film vor allem auch ein großer heilsamer Spaß. Mein Kind sieht dank dem visuellen Zaubertrank gleich viel weniger blass aus, sodass ich es schnell durch die ganze Stadt nach Hause und mich wieder zurück zum Termin schaffen kann.

Nur eine halbe Stunde hat man unserem Bastelvergnügen unter großen Bedauernsbeteuerungen zugebilligt. Ölmalerei, wie sie Peschel früher betrieben hat, geht da schon mal gar nicht. Ich denke an ein Tablet-Gemälde. Gelingt schnell, ist modern und man muss noch nicht einmal einen Pinsel auswaschen. Nur habe ich kein Gerät. Finanzielle Zwänge … na ja, anderes Thema. Also dann doch die gute alte Skizze. Analoges, gepflegtes Scheitern. Oder eben nicht!

Wird sich Peschel darauf einlassen, sich als Asterix zu zeichnen, frei Hand? Um uns abzusichern − die 30 Minuten sind jetzt schon zu kurz − habe ich selbst eine Asterix-Skizze erstellt, die er zerschneiden, übermalen, abpausen könnte. Viel Druck kann auch befreiend wirken. Inzwischen ist unser Date nach hinten gerutscht, aber noch hat sich mein Kind nicht wieder übergeben, und ich kann mich ganz dem Kreativen ergeben. Vorher noch ein kleiner Plausch mit dem ebenso tollen Charly Hübner (Obelix), dann ab ins großräumige Hotelbüro vom „Sofitel“− Milan Peschel sieht nach dem Gesprächsmarathon leicht angegriffen aus und prompt entwickele ich ein schlechtes Gewissen.

Ich habe ja keine ausgeklügelten Fragen zum Film, nur den Skizzenkram und Aquarellkasten, den seine PR-Agentin hinterher wie einen Dinosaurierknochen bewundern wird. Sofort schnappt sich Peschel die Vorlage, fragt nach Kleber, nimmt dann doch die Stifte, bevor ich die Kamera einschalten kann, paust mit Elan alles durch, um es zu verwerfen, zückt ein neues Blatt, wirft mit Leichtigkeit sein Woody-Allen-Konterfei hin mit Asterix-Helm und Peschel-Grübchen. Und plaudert noch sehr angenehm über Castorf und den Freigeist der Volksbühne. Leuchtende, kluge Augen. Heureka! Genau diesen Ausdruck habe ich für den wenigen Platz gesucht, eine Mischung aus Gedankenfreiheit und Skepsis.

Wanda Perdelwitz

Das ist so eine Sache mit der Schönheit und ewigen Jugend. Kaum werden die Tage schöner und die Nächte jünger, möchte man dem natürlich in nichts nachstehen. Ich will nicht behaupten, dass das ein unlösbarer Druck wäre. Inzwischen gibt es genügend Mittelchen, die den allmählichen Verfall hinauszögern. Doch mischt sich beim Anblick der Blütenpracht vor meinem Atelierfenster eine gewisse Wehmut hinein, zumal sich die Natur jedes Jahr erneuert, ich nicht. Zum Glück haben wir die schönen Schauspieler. Dank Film und Datenerhalt bleiben sie in ihrer von der Zuschauersehnsucht gewünschten Verfassung, gut ausgeleuchtet und gern nachträglich manipuliert.

Heute hat sich die überaus natürliche und vielseitige Film- und Theaterschauspielerin Wanda Perdelwitz zum Basteln eingeladen. Ja, sie wollte unbedingt kommen, weil sie die Idee prima findet, und überhaupt wird sie während der drei Bastelrausch-Stunden das meiste inspirierend und prima finden.

 

Wanda finde ich auch prima. Mit ihrem Auftritt in meinem etwas schäbigen Raum bestätigt sie mir genau den Eindruck, den ich von ihr via Bildschirm hatte: Sie strahlt und ist zum Staunen bereit. Das muss sie auch. Schließlich habe ich keine Kosten und Mühen gescheut, um meinem Lieblingsthema den exakten Schliff zu verpassen, will sagen: Ich habe im Baumarkt zwei Primeln besorgt und buntes Papier nebst Brausepulver und sauren Pommes vorbereitet, damit wir im Innenhof ein jugendliches Bastelvergnügen abhalten.

Wanda hat auch was vorbereitet. Das fängt schon damit an, dass sie sich kaum setzen möchte. Sie schwirrt durch den Raum, dass ich sofort die Theaterprägung spüre. Als ehemaliges Ensemblemitglied unter Armin Petras, eine, die sich den Raum nimmt, statt sich einfach mal ins rechte Bild setzen zu lassen. Gespannt hört sie sich meine Idee an. Jetzt sie!

Nicht umsonst habe sie einen zweiten Namen von ihrer Mutter und ihrem Vater − Schauspieler und Regisseur − erhalten. Colombina, die als einzige der Commedia dell’ Arte Figuren ungerechterweise keine eigene Maske hat. Dass eine Schauspielerin eine solche bauen möchte, ist vielleicht nicht ungewöhnlich in härter gewordenen Zeiten des Jugendwahns. Auch erinnert es mich an die gute alte Zeit des Verkleidens und der Mitbringsel von Verwandtschaften, wenn die in Venedig waren und ein solches Porzellandings im Gepäck hatten.

Soweit zu meinen Vorbehalten. Vielleicht bin ich auch nur gekränkt, weil ich nicht draußen sitzen und rauchen darf. Daher erzähle ich von meinen ausgiebigen Recherchen zur Konservierung, von Glycerin, das die Blumen haltbar mache, ähnlich wie beim Mumifizieren, was wohl aber mehr Zeit in Anspruch nehme. Aber Wanda steht schon in Position und möchte lieber eine Maske basteln.

So sei es! Das ist jugendlicher Furor, der heutzutage ja zu Kompromissen bereit ist. Eine echte Blüte kann man schließlich auch auf die Larve kleben. Schnell findet Wanda ein geeignetes Grundelement, eine Salatplastikschüssel vom Pizzaboten, worin ich normalerweise Farben mische. Mit der Schere bearbeitet sie sorgsam die Form, als hätte sie die ganze Woche über nichts anderes getan. Dabei hat sie viel anderes zu tun!

Die nächste Staffel von „Großstadtrevier“ ist in Arbeit, wo sie eine quirlige Polizistin spielt. Schwer vorstellbar, dass dieselbe gerade zur hoch konzentrierten Bastelkönigin mutiert, die gern auch mal in eine andere Rolle springt, um mir den alten Mann zu simulieren, den sie im Maskenworkshop ihrer Schauspielschule gegeben hat.

Inzwischen ist die ehemalige Kleckerschale blendend weiß und per 3D-Stift mit ein wenig Mimik ausgestattet. Immer wieder überprüft Wanda deren Richtigkeit, weil es beim Spiel immer auf Reduktion ankäme, genau wie in allem, was überzeugt. So hält sie sich noch eine schöne Weile an der Frage auf, ob das Ganze eine Nase braucht oder nicht und dass Wimpern kitschig wären, aber hochgezogene Augenbrauen nicht. Stimmt! Der Blick aus diesen melancholischen Augen trifft bestens unsere Bastelerfahrung: staunend, die Schönheit befragend und mit einer unsichtbaren Glycerinträne im sich verflüssigenden Blau.

Sven Regener

Jetzt hat er wieder einen Bestseller gelandet. Der Sven. Der Regener. Der Sänger von Element of Crime. Der Autor. Mein Nachbar. Der Sven wohnt unten, ich wohne oben, was ich nie an die große Glocke hänge, zumal der Sven es überhaupt nicht mag, wenn man aus dem Nähkästchen plaudert. Weil privat ist privat und Beruf ist Beruf − und dann muss man Promo machen. Nur daher vermischt sich hier ausnahmsweise das Private mit dem Dienstbasteln.

Also halten wir sein aktuelles Werk mal kurz in die Kamera: „Magical Mistery oder die Rückkehr des Karl Schmidt“ heißt es. Ein Roman. Über fünfhundert Seiten dick, und es liest sich: gut. Wirklich, ich mag es. Und ich mag den Sven. Eine richtige Rezension ist in der Berliner Zeitung am 10.9. unter dem Titel „Doof, schlau, lustig“ erschienen.

Als perplexer Zaungast habe ich beobachten können, wie er mit „Herr Lehmann“ in den Autorenolymp geklettert ist. Privat wirkt er tiefenentspannt. Seit über dreißig Jahren beliefert er die Kulturwelt mit Platten, Büchern, zuletzt auch noch mit einem Film, „Hai-Alarm am Müggelsee“. Ein Erfolgspaket, der Sven, eine ausgewogene Mischung aus Bohemien und Teilzeitrebell. Er sagt auch gern mal seine Meinung. Wie letztes Jahr über den Schutz des Urheberrechts. Aber diese emotionalen Wellen glätten sich bei ihm schnell. Er hat ja auch anderes zu tun. Wenn unser Nachwuchs sich auf den Schulweg macht, hat er in der Dämmerung bereits ein Kapitel über Schein und Sein der Technowelt geschrieben. Wie macht er das? Woher nimmt er die uhrwerkartige Gelassenheit? Verzweifelt er nie über etwas Missglücktes oder das große Loch, das einen verschluckt, wenn einem nichts einfällt.

 

Man vergleicht, ohne es zu wollen

Ich geb’s zu, ich bin neidisch, da kann ich noch so weit oben wohnen. Es schleicht sich ein wie ein Schnupfen und bleibt manchmal länger, als es einem lieb ist. Völlig unproduktiv. So ist das dann: Man vergleicht, ohne es zu wollen, ganz automatisch, wenn man an den Briefkästen vorbei geht: Seiner ist eben voll und meiner ist − na ja.

Als ich einem Lektor mal heimlich davon erzählte, meinte er prompt, also er würde sofort ausziehen. Am besten raus aus Berlin, wo jeder irgendwie kreativ ist. Ob das wirklich hilft? Vielleicht hilft Basteln. Das entspannt. Das kann ich ganz gut. Mal sehen, ob ich Sven aus der Reserve locken kann und erfahre, wie das mit der Fließband-Kreativität bei ihm so magicalmäßig funktioniert.

In der Vorbereitung auf unser Treffen allerdings merke ich, dass ich überhaupt nicht entspannt und viel zu emotional bin. Ob da der Hase liegt? Ich will was Griffiges. Eine Orgie, etwas Rauschhaftes, Unzensiertes. Er schreibt ja auch, wie er spricht. Also, stelle ich mir vor, soll er doch malen, wie er denkt: frei und schräg. Als ich Sven am Vortag von meiner Idee berichte, meint er schlicht, malen könne er nicht. Er kommt zum Basteln. Punkt.

Eilfertig häufe ich also einen Berg mit diversen farbenfrohen Materialien, Kleber, Schere an. Dazu buntes Papier und, falls er doch malen wollen sollte, ein Ausmalbuch von München, was er auch gern zerschneiden kann, und eins mit lauter süßen Tieren, weil ich mich bei der Lektüre seines Romans nicht nur in Karl Schmidt, sondern auch in die beiden Meerschweinchen Lolek und Bolek verknallt habe.

 

Ich brühe Kaffee auf. Viel Kaffee. Sven spaziert zielstrebig vormittags Punkt elf Uhr zu mir in die Wohnung, fragt im Gehen, ob wir das Ganze auch in einer halben Stunde durchziehen können, weil er anschließend für die Promo noch ein paar Unterschriften leisten muss, streift mit einem Seitenblick den Haufen Bastelmaterial und springt sofort auf die Idee von Lolek und Bolek als nachträgliche Illustration für sein Buch an.

Er greift sich den einzigen, farblosen, noch ungespitzten Bleistift und beginnt im selben Atemzug mit der Zeichnung. Dreieinhalb Minuten. Kein Rausch. Höchste Präzision. Zwei einfache Formen, schnelle Striche für den Käfig. Treffsicheres Krikelkrakel für das Heu. Alles in wildem Einheitsgrau und zum Abschluss eine simple Erläuterung der Szenerie. Danach reden wir noch eine halbe Stunde über sein Buch. So viel zum Sven und zum Geheimnis seines Erfolgs.

Maria Simon

Es gibt genug Gründe, die Welt zu retten. Für die Liebe. Der Kinder wegen. Weil es für ein gutes Gefühl sorgt. Oder auch weil man, ganz egoistisch gesprochen, wissen will, dass nicht alles umsonst war. Das Kämpfen für Werte. Auch für die Kunst. Die Kultur. Ach.

Das alles und nicht viel weniger soll Thema sein für die Bastelstunde mit der Schauspielerin und Rockmusikerin Maria Simon. Es war ihr Vorschlag, etwas für den Weltfrieden zu basteln, ein Mobile mit Origami-Tierchen vielleicht, Hauptsache etwas für den Weltfrieden. Nordkorea rüstet auf, wir rüsten um! Schließlich werden wir das Werk am Ende der Serie versteigern und warum sollten wir dafür nicht gleich in die Vollen gehen? Der lange Winter ist vorbei! Sonne, Licht!

Ich hatte schon das große Materialpaket geschnürt, um ihr nach Pankow entgegenzueilen; es entstand die Idee, das Ganze nach draußen zu verlagern, weil die Kunst manchmal auch unbedingt raus muss, zu den Leuten, in die Öffentlichkeit, in den Park!

 

Dann aber haben die Lehrer meines Sohnes beschlossen zu streiken, auch ein ewiger Kampf. Der langweilte sich nun offensiv zu Hause auf dem Sofa und wollte partout nicht nach draußen, um den Weltfrieden voranzutreiben. So musste ich den Termin also hierher nach Prenzlauer Berg verlagern. Aber so spontan muss ein Revoluzzer sein, das findet auch Maria Simon und freut sich über das Glas Leitungswasser (keinen Kaffee!) und die Strahlesonne im Fenster. Als sie mir so entspannt gegenüber sitzt, wird mir klar, dass sie tatsächlich die erste Frau in meiner Serie ist. Als Mutter von drei Jungs und einer kleinen Tochter kommt sie so gut wie nie zum Basteln, zumal sich in der Familie auch niemand dafür interessiert.

Ihr Alltag ist vollgepackt: Beruf, Schulfragen, Proben mit der eigenen Band „Ret Marut“, die sie mit ihrem Mann, dem Schauspieler Bernd Michael Lade, bestreitet. Alles andere ist da irgendwie Luxus, also auch die zwei Stunden mit all den schönen Kreativideen, die ich gesammelt habe.

Die Taube etwa galt in der vorbiblischen Zeit als Symbol für Fruchtbarkeit und Erotik. Sie versöhnte den Mann-Frau-Dualismus miteinander und vereinte überhaupt alle Gegensätze! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, wenn man an das Image denkt, das die sogenannte Ratte der Lüfte inzwischen hat. Ganz zu schweigen von all den eingemotteten Jutebeuteln, die das blau-weiße Friedenstaubensymbol zierte: Man fragt sich schon, wo die Friedensbewegung denn abgeblieben ist. Wen schert das heute denn noch?

Maria Simon ergreift sofort Partei und beginnt motiviert, einen Kreis zu zeichnen. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie noch nicht genau weiß, wie so ein Vogel aussieht. Aber eine Vorlage will sie nicht, stattdessen lässt sie sich vom Nebeneinander der Gegensätze inspirieren − das wiederum nimmt sie zum Anlass, ganz viel von ihrer Familie zu erzählen.

Überhaupt kommen wir schnell vom Weltharmoniethema ab, und Maria Simon erzählt, dass sie wegen dieser ewigen Egotrips der Gesellschaft angefangen hat, Aikido zu trainieren. Das erscheint ihr viel sozialer als Yoga zu praktizieren, wo sich jeder im Grunde nur mit sich selbst beschäftigt. Als würde er lauschen, kommt mein Sohnemann mit zwei selbstgemachten Lego-Portraits von sich und mir hereinspaziert und fragt nach, ob er denn mitbauen dürfe. Schließlich wollten wir doch auch einen Origami-Kranich basteln, erinnert er mich. Oder Fernsehen. Das würde er stattdessen auch. Aber klar doch. Maria Simon kennt das. Sie selbst hält ihre Kinder bei Laune, indem sie immer mehr Geräte abschafft. Kürzlich den Geschirrspüler. Den brauche man nicht, ihr großer Sohn würde gern Abspülen.

Man kommt schon ins Grübeln beim Basteln für den Weltfrieden. Dabei verliert man beinahe die überzeugende Schlichtheit aus den Augen, mit der Maria Simon ihre Erdkugel pinselt und den roten Mamavogel drüber setzt. Damit auch mein Nachwuchs beruhigt ist, bauen wir einen Zusatzvogel, den Maria Simon mit der Frage beschriftet: „Kann Kunst die Welt retten?“ Dann wird er wie eine Flaschenpost draußen an den Baum gehängt. Dort flattert er zwei Tage lang, dann ist er weg. Abgeflogen.

Kai Schumann

Berlin -Viele, sehr viele werden sich damals gefragt haben, was genau sich Karl Theodor zu Guttenberg gedacht haben mag, während er seine Doktorarbeit geschrieben hat. In solchen Momenten wäre es schön, die Hirnschale aufzuklappen, damit man vielleicht etwas erkennen kann.

Klar kennt man das Phänomen der Überforderung, Beruf und Familie und auch den nicht zu unterschätzenden Geltungsdrang unter einen Hut zu bringen. Wer muss das nicht? Aber wo bleibt das Gefühl für Bodenhaftung? Wo bleibt der Sinn für die Konsequenzen?

Wo bleibt das Gefühl für die  Strapazierfähigkeit der Öffentlichkeit? Also wo bleibt die Moral? Sie müsste doch da irgendwo in dem aufgeklappten Schädel zwischen all den Denk-, Träum- und Reflektierwindungen zu finden sein? 

Zum Glück gibt es Schauspieler, die sich mit diesen Fragestellungen befassen und versuchen, die dunklen Gedankengänge eines anderen zu erforschen und zu verkörpern. So Kai Schumann, der am kommenden Dienstag in der Sat-1-Politsatire „Der Minister“ in Anlehnung an den ehemaligen Verteidigungsminister den Politikertyp Franz Ferdinand von und zu Donnersberg spielt.

Das ist doch ein herrlicher Anlass, ihn zum Basteln einzuladen. Denn wo kann man besser über die Arbeit an der Rolle reden als beim gemeinsamen ungezwungenen Werkeln. Was könnte einer basteln, der einen spielt, der seine Doktorarbeit aus Fremdzitaten zusammensetzt? Liegt doch auf der Hand: eine Collage!Als Inspirationsquelle bringe ich Schumann die aktuelle Berliner Zeitung und den Berliner Kurier und ein an dieser Stelle unerwähnt bleibendes Promimagazin mit.

Er darf sich also austoben und nach Herzenslust Überschriften und Schlagworte heraussuchen, die für diese Art Mindmap relevant sein könnten. Doch halt! Darf man das einfach so? Trage ich nicht auch Verantwortung, indem ich Schumann mit der Verletzung von Urheberrecht beauftrage? Ab wann ist es Kunst und darf als eigenständig gelten? Und bekommen wir das am Ende auch zu einem guten Zweck versteigert, ohne den Urhebern was abzugeben?

Schumann jedenfalls zeigt sich während der Bastelstunde als durch und durch integrer Mensch. Entlarvende, rufschädigende Schnappschüsse seiner Kollegen überblättert er, die Nacktaufnahme einer jungen Frau streift er mit einem verständnisvollen Seitenblick, dann aber ergreift ihn das Jagdfieber. Voll Respekt für seine Figur  sammelt er Erklärungshilfen, schöne Formulierungen, die ihn zu der einen oder anderen Anekdote inspirieren.

Das Auffällige daran ist, dass Schumann keinen Neid zu kennen scheint. Kürzlich im Interview gefragt, auf welche materiellen Werte er verzichten könnte, ließ er sich Zeit mit der richtigen Antwort. Eigentlich auf so gut wie alles. Außer auf den Plattenspieler, die Boxen und seine 800 Platten.

Das ist doch ein Wort. Schumann ist gefühlsecht. Als ehemaliger Linksautonomer hat er keine Berührungsängste mit politischen Inhalten und einer offensiven Haltung zur Welt, die freilich nicht jedem passt, aber auch den Mut zeigt, Verhältnisse in Frage zu stellen. Mittlerweile ist Schumann Vater geworden und ein gefragter Fernseh- und Theaterschauspieler.

Große Eskapaden liegen in der Vergangenheit. Aber so beherzt, wie er zu Kleber, Kreiden und Edding greift, hat er offenbar einen natürlichen Bezug dazu; das Bild darf ruhig rocken, der Gestus muss authentisch, also wild sein, die skeptische Falte über Leonardo di Caprios Augen relativiert ja alles. Ist das gut?

Jetzt gibt mir Schumann sein Mantra mit auf den Weg: „Danke, danke, danke. Es ist genug, es ist genug, es ist genug.“ Artig danke ich ihm dreimal dafür, obwohl ich von so gut wie nichts genug kriege und weil mir immer irgendwas  fehlt. Als ich das zugebe, lacht Schumann bärig auf und bestätigt, dass auf der Collage noch etwas fehle. Glamour! Her mit dem Gold!

Mit den Spraydosen in der Hand sieht er aus wie ein illegaler Graffiti-Creator. Und er hat ja wohl in der Jugend auch das Plauener Polizeipräsidium getaggt. Glamour hin, Glamour her − Schumann gibt ein kämpferisches Bild ab, umnebelt von Lösungsmitteln und Goldstaub.

Diana Staehly

Es gibt so Tage, an denen verlässt man lieber nicht das Haus. Zum Beispiel heute. Es ist eigentlich nicht viel chaotischer als sonst in der Welt, aber es kommt einem so vor, als würde die Welt aus dem Rahmen kippen. Ostukraine, Syrien, Nahost, Somalia. Für einen Augenblick möchte ich die Tür lieber wieder von innen schließen. Zuhause bleiben nützt jedoch nichts. Schieflage − das bedeutet ja auch, zu Hause mal wieder aufräumen zu müssen.

Zum Glück habe ich ein Atelier, wo ich das nicht muss. Mittlerweile herrscht dort pures Chaos mit all seinen Bastelhinterlassenschaften. Ein Rückzugsort. Wenn ich immer dort bleiben könnte, hätte ich wahrscheinlich irgendwann auch so einen trendigen Rauschebart. Zurück zur Ordnung. Man sagt, sie sei das halbe Leben. Wie steht es aber mit der anderen Hälfte? Immerhin ist Frühling. Vielleicht sollte ich mal was dafür tun und das eine oder andere Stück an einen sinnvollen Platz schaffen. Den Teelöffel in das Teelöffelfach des Besteckkastens.

Keine Zeit. Schließlich bekomme ich Bastelbesuch von Diana Staehly und damit die beste Ausrede, nicht wider meine eigene Natur agieren zu müssen. Ordnung, pah! Neulich habe ich ein Foto von Steve Jobs’ Schreibtisch gesehen, dagegen ist meiner eine Staubwüste. Kann es sein, dass ich schon wieder abschweife? Wo war ich stehen geblieben? Stimmt. Äußere Ordnung soll für innere Aufgeräumtheit sorgen.

 

Also die Diana Staehly ist toll. Zugegebenermaßen war mir ihr Name kein Begriff. Aber hallo! Ihr Gesicht kenne ich dafür aus dem Fernsehen. Vor allem von „Stromberg“. Der läuft seit Februar im Kino, unbedingt gucken! Staehly gibt die sehr organisierte Versicherungsangestellte Tanja Steinke mit verzückter Spießigkeit, dass es mir ein großer Spaß war. Bisher bekam sie oft Rollen angeboten, die einen gewissen Hang zur Kontrolle aufweisen. Tough und straight, wie die Amerikaner sagen würden. Was die aber im Moment mit der Weltlage vorhaben, möchte ich gerade nicht wissen.

Zur Ordnung! Also mit Diana Staehly kann man doch bestimmt gut was machen, was dem Chaos ein Ende bereitet. Etwas für den Schreibtisch vielleicht, ein Ding, wo ich früher den ganzen Schreibkram verstaut habe. Einen Stifteköcher! Wo der wohl in der Zwischenzeit gelandet ist? Der Vorteil einer Liebe zum Horten ist ja, dass man für seine Kreativideen immer was Passendes findet. Als ich aber die unzähligen leeren Klopapierrollen in einer Tüte entdecke, frage ich mich schon, ob ich Diana Staehly das zumuten kann. Nachhaltigkeit gut und schön. Irgendwie scheinen mir diese braungrauen Zeugenschaften doch zu eklig. Als seien wir quasi am Bodensatz der Bastelfreude angelangt.

Habe ich es schon gesagt? Diana Staehly ist toll. Sie kommt nur zehn Minuten zu spät aus dem fernen Potsdam, nachdem auf dem Weg ein Gefangenentransport liegen geblieben sein soll und sie erst mal im Stau stand mit − sie lacht − verriegeltem Wagen. Sie sagt das mit einer natürlichen Gelassenheit, wie sie wahrscheinlich nur Leute zu eigen ist, die bereits bei „Alarm für Cobra 11“ mitgewirkt haben. Zurück zur Aufgabe.

Ursprünglich kommt Diana aus Köln. Der Karneval ist noch nicht lange her. Eigentlich dachte sie daran, etwas zu diesem Thema zu gestalten, zumal: Basteln könne sie nicht, aber eine Maske gehe immer. Außerdem ist sie junge Mutter; da besteht die große Kunst eher darin, das Chaos zu regieren. Nicht zu vergessen die Fähigkeit, flexibel zu bleiben und sich auf das Unerwartete einzulassen. So wird nach gut anderthalb Stunden gemütlicher Kleberei und Malerei doch etwas Nützliches entstehen.

Ohne aus dem Takt zu kommen erzählt Steahly wunderbare Anekdoten über „Stromberg“, zum Beispiel dass sie durch einen Videoauftritt als singendes Telegram damals zum Casting eingeladen worden sei. Obwohl sie überhaupt nicht singen könne. Sagt’s und setzt den letzten Farbtupfen auf die ehemalige Scheußlichkeit. Das Ergebnis: eine karnevaleske Ordnungshilfe. Könnte aber auch ein Modell für den neuen Alexanderplatz sein. Was das alles mit der Schieflage da draußen zu tun hat? Nichts! Und das ist das Gute daran.

Birge Schade

Über Frauen ist dieses Jahr schon viel geschrieben und gestritten worden. Wie sie nun sind oder sein sollen, was sie müssen und was sie dürfen sollen. Als Frau, die aus dem Basteln quasi einen Beruf gemacht hat, ist es manchmal schwer, dazu einen gesunden, vor allem aber luftigen Abstand zu bekommen, weil: Die ganzen Fragen, wie Frau ist, helfen im Kreativbereich auch nicht weiter; am Schluss zählt doch schließlich das Ergebnis. Aber eins darf eine Frau wohl selten sein, um ernst genommen zu werden: nett.

Nett ist auch beim Basteln schlecht. Wie im guten Schauspiel braucht es Konflikte, um eine Bastelsause spannend zu erzählen. Die Schauspielerin Birge Schade ist prädestiniert für diese Serie, zumal man ihr immer wieder Rollen mit Ecken und Kanten anvertraut. Wie kaum eine Andere schafft sie es, die Brüchigkeit ihrer Figuren auszuloten. Mal stark, mal schwach und meistens irgendwo dazwischen, spielt sie herrlich natürlich und wunderbar außerhalb jedes Klischees. Und sie hat Humor.

Den wird sie auch brauchen, denn ich habe mir etwas Besonderes für sie ausgedacht. Unlängst hat sie in den „Gefährlichen Liebschaften“ als Marquise de Merteuil in der Komödie am Kudamm mit bloßer Hand eine Grapefruit zerquetscht. Wow! Das sind so Augenblicke, in denen ich völlig unkritisch zu beeindrucken bin. Ob das der richtige Ansatz ist, um saftige Konflikte zu schaffen? Ich will ja auch nicht immer alles gut finden, aber das hatte etwas, als das Grapefruitfleisch direkt an der Rampe vor all den weißhaarigen Menschen auftropfte, die sich davon wiederum keineswegs beeindruckt zeigten. Es blieb während der 16-Uhr-Vorstellung reichlich still, was wohl am schönen Wetter und natürlich an der Uhrzeit lag.

 

Motto: „Basteln brachial“

Wie schafft man es das Publikum und also auch die Leserschaft aufzurütteln? „Basteln brachial“ lautet das Motto. Schließlich verteidigt Birge Schade nicht umsonst seit Jahren ihren Taekwondo-Schwarzgurt. Vielleicht sollte ich mich auch in Acht nehmen, was ich bei unserer Mittagssitzung in meinem Atelier von ihr verlange. Was mit Hand und Fuß. Daher habe ich als Erstes mal ein Brett besorgt. Eine Laubsäge, deren Funktionsweise mich aber ein zweites Mal in den Werkzeugladen bringt, um mir peinlich lächelnd zeigen zu lassen, wie man das Sägeblatt einspannt.

Werde ich versagen? Ist das mein Konflikt? Hauptsache nicht zu nett. In diesem Zusammenhang freut es mich, dass mir der Nachbar beim Losfahren mit Brett und Säge noch alles Gute wünscht, weil ihn Laubsägearbeiten immer an Strafarbeit im Gefängnis oder an seine Zeit beim Militär erinnern würden.

Birge Schade hat gute Laune. Und: Sie sieht richtig nett aus. Ich meine das positiv. Sie trägt Kornblumenblau, was ich eigentlich nicht erwähnen sollte, weil das so typisch Frau ist. Aber dieses Blau ist nun einmal meine Lieblingsfarbe. Noch dazu springt Birge Schade auch sofort auf meinen Vorschlag an, aus dem Brett einen Mann zu sägen. Gern auch einen Hampelmann. Gern auch ohne Säge, weil: sie kann es ja mal versuchen, das Ganze mit ein paar lockeren Handkantenschlägen zu zerdeppern.

Obwohl sich das dünne Restholz heftig durchbiegt beim Schlagen, nimmt Schade die Herausforderung an. Ohne mit der Wimper zu klimpern legt sie bald die Brille ab, der Schweiß! Während sie erzählt, dass sie so etwas noch nie gemacht habe, greift sie schon nach der Säge und wird im Laufe eines kleinen Wettkampfes gegen ihre Ungeduld sechs Sägeblätter vernichten und fünf Einzelteile herausbrechen. Keine leicht Zeit für Hampelmänner.

Sehr nett entschuldigt sie sich, dass sie ein paar Löcher in meinen Tisch hämmert, was ihr wohl auch schon beim eigenen Küchenboden passiert ist, als sie sich am Einbau eines selbst gezimmerten Küchen-Elements beteiligen wollte. Aber sie lernt schnell dazu. Die Papphand, die sie zusätzlich nach dem Abbild ihrer eigenen Linken ausschneidet, sieht absolut professionell aus mit einem charmanten Knick des Mittelfingers. Dann noch ein paar bunte Lederreste draufgeklebt. Perfekt! Den Hampelmann nennt sie noch liebevoll: Ozi, einer ohne Zeit, die so nett verflogen ist, dafür aber auch brachial ansteckend gut!

Apples in Space (Phil Haussmann und Julie Mehlum)

Meine liebe Freundin Marijke fasste einmal das Wesen des Journalismus wie folgt zusammen: Man muss immer das Haar in der Suppe finden. Seither schreibe ich mit diesem Bild im Kopf. Man will ja nicht unkritisch sein, und zu nett darf man auch nicht sein, schon gar nicht als Frau. Auch wichtig: Immer dran denken, wie es ankommt. Weil, wenn es nicht ankommt, ist es auch bald mit dem Schreiben vorbei, dann werden andere das Haar aus der Suppe nesteln, und man selbst sitzt vorm leeren Teller und so.

Ich mag diese Gedankenkette nicht. Ich bin mit der Idee aufgewachsen, dass der Mensch an sich das Gute will. Selbst wenn er dabei nicht immer erfolgreich ist. Unterstützt wurde damals dieser Glaube durchs Mitsingen von Beatles-Songs. „All You Need Is Love“, krakeelte ich hoch motiviert durch die blumengeschmückte Wohnung. Muss man mehr sagen?

Würden das die pilzköpfigen Jungs aber heute immer noch singen? Oder wäre das nicht in Zeiten von Flüchtlingsströmen, Bombardements, Ebola, IS-Terror etc. ignorant? Würde das „Peace and Love“- Dings heute überhaupt noch funktionieren? Wenn es denn schon mit „Peace“ nicht klappt, dann wenigstens mit „Love“? Höchste Zeit, mir Bastelgäste ins Atelier zu laden, die meinen Glauben an das Gute retten.

 

„Apples in Space“ also heißt die meist zweiköpfige Newcomer-Band, bestehend aus Phil Haussmann und Julie Mehlum. Haussmann ist quasi als Apfel bildlich dem Familienstammbaum entrollt, indem er als Erster nach drei Schauspielergenerationen nicht am Berliner Ensemble spielt. Stattdessen spielt er Gitarre. Und singt.

Seine große Liebe, die Norwegerin Julie Mehlum, hat er 2010 auf einer Party kennengelernt. Damals haben sie vor versammelter Mannschaft „Knockin’ On Heavens Door“ gegeben. Ein Lied, das sie zwar nicht mochten, dessen Text sie aber auswendig konnten. Heute komponieren und texten sie gemeinsam, so wie sie auch Spaghetti kochen und zum Basteln erscheinen. Eine poetisch anmutende Symbiose, die bei mir prompt zwei starke Gefühle hervorruft: Beschützerinstinkt und Panik. Wie war das nochmal mit all den Musikerpaaren? Tina und Ike Turner. Mick Jagger und Marianne Faithfull. Michael Hutchens und Kylie Minogue. Ziemlich schiefgegangen. Ach, Leidenschaft! Auch ich sehne mich auf jeder distinguierten Essenseinladung intensiv nach den Zeiten von „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“ zurück. Aber gesund und zukunftsträchtig ist das nicht. Die beiden hören sich meine Aufzählung ganz entspannt an, reichen sich ihre Kaffeetassen weiter. Zu ihren Vorbildern gehören eben Johnny Cash und June Carter, die ewig, bis zu ihrem Tod zusammen waren.

Beginne ich es zu begreifen? Ist das die neue jugendliche Ernsthaftigkeit? Tatsächlich nennen die beiden in unserem Gespräch „Verantwortung und Ehrlichkeit“ als ihre Triebfedern. Bloß keine Ironie! Sie wollen es anders machen und sich treu bleiben. Aus diesem Grund vermarkten sie sich selbst, damit sie kein klischeegeiles Plattenlabel in eine bestimmte Richtung biegt. Sie fragen sich auch nicht groß, wie ihre Musik ankommt, weil ihnen Authentizität einfach wichtiger ist.

Haussmann sagt: Musik kann helfen, Gefühle auszudrücken. Nur darum gehe es doch. Auch das neue Video drehen sie selbst. Und einfach so drauf los basteln? Eineinhalb Wochen haben sie als ehemalige Waldorfschüler hin und her überlegt, was sie gestalten wollen. Einen Cartoon? Eine Stadt aus Papier? Schlussendlich haben sie sich von mir die Materialien für Schablonen besorgen lassen und einen ihrer Songtitel und zwei eigene T-Shirts zum Besprühen mitgebracht: „I Am the Never Read Letter“ („Ich bin der nie gelesene Brief“). Wie symbolisch. Lasst ihn uns öffnen! Lesen! Staunen und ein bisschen traurig sein.

Anhören kann man sich das ab Januar auf ihrer neuen EP und als Vorgruppe bei Element of Crime. Jetzt ist es mir wieder passiert, dass ich am liebsten nur „Ach, wie schön und ermutigend!“ rufen möchte. Pflichtschuldig inspiziere ich die Suppe. Und, was finde ich? Kein einziges Haar, nicht mal ne Wimper.

Iris Mareike Steen

Alle Jahre wieder endet auch der längste Herbst. Die Blätter sind gefallen. Kälte bricht herein. Ein Schauer der Vergänglichkeit liegt über allem. Selbst die Kastanien, die man neulich noch wie kleine Schmuckstücke gesammelt hat, schrumpeln unbeachtet vor sich hin, während im Laub die vollgefressenen verpuppten Miniermotten auf den Frühling warten. Höchste Zeit, etwas zu ändern.

Rückblick. 1992. Das war mein Aufbruch. Zurück nach Berlin. Um etwas mit Film zu machen, oder Theater, Hauptsache Kultur. Und dann landet man als Statist bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Damals war die Serie noch nagelneu. Ich saß in irgendeiner Filmkulisse und war so aufgeregt, dass ich mein Gesicht immer wieder wegdrehen musste, um nicht aus Versehen in die Kamera zu blicken. Iris Mareike Steen war gerade mal ein Jahr alt, als jene Daily-Soap begann, in der sie nun seit fünf Jahren alias Lilly Seefeld festes Ensemblemitglied ist. Ich werde sie gleich zum Basteln treffen und bin aus oben genannten Gründen fast mutti-mäßig sentimental.

So viel Back-to-the-Roots kurz vor dem Jahresende und mit all den Krisen. Ungeachtet meiner Untergangsstimmung steht das Studio von GZSZ wie ein Fels in der Brandung und wartet darauf, dass ich mit meinen schrumpeligen Kastanien aus Berlin nach Babelsberg reise, um mit Iris daraus ein Männchen oder Mädchen zu bauen. Beziehungsweise warte ich auf den Pressebetreuer, damit er mich zu Iris bringt. Drinnen herrscht eine angenehme Arbeitsstimmung, ähnlich einem Studentenwohnheim, genauso jung. In der Kantine bekomme ich gleich Automatenkaffee und steige mit Iris hinauf in ihre Garderobe. Ein schmaler Tisch, zwei tiefe Sessel, sonst jede Menge Klamotten.

 

Iris ist Vollprofi. Mit acht Jahren schon die erste Fernsehrolle, auf der Bühne gab sie den Drachen in „Tabaluga“. Diesen Sommer posierte sie nun auf ganzen 14 Seiten für den Playboy. Heute sammelt ihr Facebook-Profil bald 330000 Fans. Über ihre Rolle wird inbrünstig diskutiert. Mal nerve sie total, mal sei sie voll couragiert. Kommentare, die mich nicht gerade locker bleiben lassen, während ich für Iris die Aufgabe aus der Aldi-Tüte ziehe. Ist die Idee sexy genug? Immerhin habe ich als Kind das Herbstbasteln mit diesen ständig wegflutschenden Dingern gehasst.

Über die Kastanien gebeugt erzählt Iris davon, dass sie kurz vor ihrer Kinderkarriere auf einer Geburtstagsparty fast ausgeladen worden wäre. Der Grund: Sie könne nicht basteln! Langsam spüre ich einen fast missionarischen Aufwind. Es ist rührend zuzusehen, wie sie die einzelnen Kastanienfrüchte in den Fingern dreht, um darin eine Zuordnung zu finden. Ist das der Kopf oder eher eine Brust? Wie breit wird das Becken sein? Außerdem: Wie bohrt man da Löcher für die Zahnstocher rein? Den Hammer will sie partout nicht nehmen, sie bevorzugt doch die Rouladennadel. Zum Glück habe ich die vorher noch schnell aus der Küchenschublade geschnappt.

Wirklich, Iris macht das toll. Selbst als zum wiederholten Male der Zahnstocher abbricht und der Kopf unter den Tisch kullert, lässt sie sich nicht von ihrem Werk abbringen. Nimmt den Kleber dankbar an. Genauso die Untergrundpappe, um das leichtfüßige Mädchen besser zu stabilisieren. Tupft hingebungsvoll eine Ecksonne und eine dreidimensionale Sommerwiese samt blutrotem Blümchen hin. Lässt sich indes nicht aus der Ruhe bringen, als der Pressemann das fertige „Mädchen am Stiel“ mit den Worten bedenkt, er habe in Bonn die Kastanien lieber bei Haribo gegen Gummibärchen eingetauscht.

Das kann ja jeder, möchte man da entgegnen. Aber schon stolzieren wir als Dreiergespann durch die Flure. Iris präsentiert den Kollegen ihren verdienten Triumph, Foto mit Valentina Pahde (bald 100000 Fans), ein fröhliches Winken in die Maske, hinein in die Kulissen von damals. Hallo, Winter. Siehst ja aus wie früher, denke ich über die Kamera hinweg. Während ich zusehen muss, nicht hinter die gute Welt in die Unordnung zu knipsen. Weil, wie der RTL-Sprecher für GZSZ betont, man die Szenerie nicht entzaubern solle. Sic. Mit diesem Schluss tanzt das Mädchen mit dem rosa Haar in den sicher kommenden Frühling.

Christian Schwochow

Der Anruf seiner Agentin ereilte mich auf dem Weg von einer Beerdigung. Ein Filmmoment. Friedhof, Tränen, das große Gefühl von Unwirklichkeit und dann das ganz reale Handybimmeln, eine fröhliche Stimme am anderen Ende, die mir einen Basteltermin mit dem Filmregisseur Christian Schwochow vorschlug. Natürlich konnte die Agentin nicht wissen, wo sie mich gerade erreichte, und ich hätte auch nicht ans Telefon gehen müssen. Aber vielleicht war es auch ein Wink von Oben: Das Leben geht weiter?!

Ich hatte ihn schon vor einer Weile angefragt, nachdem ich seinen Film „Bornholmer Straße“ gesehen und dann auch noch gelesen hatte, dass er die Geschichte von „meiner“ Paula Modersohn Becker verfilmt. Doch da dieser Film erst im Herbst herauskommen würde − und man ja nie weiß, was noch alles geschieht − haben wir uns auf sein aktuelles Werk verständigt. Den TV-Zweiteiler „Die Pfeiler der Macht“ nach dem Roman von Ken Follett. Dazu würde er gern etwas erzählen und auch basteln. Ehrlich.

 

Ich hatte Mühe beim Durchlesen des Wälzers. Nicht wegen des Stoffes, sondern wegen mir, siehe oben. Nun war der Termin aber fixiert, und ich freute mich auf die Ablenkung vom aktuellen Leben. Ich machte es mir mit dem Laptop und einer Schachtel Pralinen gemütlich, um vorab den Film um die viktorianische Saga vom Aufstieg und Fall einer großen Finanzdynastie zu begutachten. Wozu mir dann beim Basteln bestimmt ein paar spritzige Sätze und Fragen einfallen würden. Quasi ein Selbstläufer, dachte ich, weil das Thema mit dem Geld, das haute mich emotional gerade nicht um. So waren meine Gefühle vor der Sichtung. Aber... Ich mache es kurz: diese drei Stunden über habe ich immer wieder geheult. Und gelacht. Wieder geheult. Und am Ende war die Pralinenschachtel leer.

 

"Theater der Welt" basteln

Die weibliche Hauptfigur Maisie ist nämlich eine waschechte tragische Heldin, ein bisschen Madame Bovary, ein wenig Anna Karenina. Und spätestens, als ihr erstes Kind stirbt und der Geliebte ab nach Amerika geht, war ich mit meinen Nerven durch. Zusätzlich war ich von der temporeichen Regiearbeit echt beeindruckt. Die denkbar schlechtesten Voraussetzungen also, um professionell und sachlich kühl bei der Sache zu bleiben.

Beim Basteltermin stand ich mit der leergefutterten Schachtel und einem Haufen gelesener Magazine vor Christian Schwochow und fragte mich, ob die Idee, ihn daraus ein „Theater der Welt“ basteln zu lassen, wirklich gut wäre. Weil mir diese Schachtel für all die Eindrücke und Emotionen, die ich gerade selbst zu verwalten und die ich durch die Filme hinzugewonnen hatte, plötzlich viel zu klein schien. Als wäre die Schachtel zu einer Art Büchse der Pandora geworden. Zugegebenermaßen kein einfacher Stoff für eine Bastelsession. Ich wusste nur eins: Ich will ein Happy End! Herr Schwochow, der von seinen Schauspielern immer als perfekt vorbereitet beschrieben wird, würde dem Gefühlswust bestimmt die nötige Ordnung und vor allem Leichtigkeit geben.

Und tatsächlich brachte Christian Plätzchen mit. Er ließ sich im Sessel nieder und begann damit, die bilderreichen Seiten durchzublättern, passende Fotos und Zitate herauszureißen, hie und da etwas zu seinen zahlreichen Filmprojekten zu erzählen, auch von „Paula“ und von „Zschäpe“, dem Film, der im Frühjahr herauskommen wird und der ihn auch nach dem Dreh emotional beschäftigt habe. Und weinen, ja, das würde er auch sehr oft in Filmen. Während er feststellte, dass es echt schön sei, so zu sitzen, Bilder auszuschneiden, laut nachzudenken und über dies und das zu reden, fertigte er mit großem Geschick dieses pralle Lebenstheatermodell. Vorne eine frei bewegliche Zündschachtelcouch, die man je nach Laune versetzen und zur Not auch anzünden könnte. Oder vielleicht war es symbolisch nur der zündende Funke, der mir in meiner Trauer gefehlt hatte? Im Hintergrund natürlich ein Sarg. Weil, das sagte er noch zum Schluss, das Sterben zum Leben und auch zur Filmkunst dazu gehören würde.

Marie Steinmann-Tykwer

Es ist mir in diesen dreieinhalb Jahren, die ich an dieser Stelle mit Prominenten bastele, immer wieder passiert. Basteln? Das ist doch was für Kinder! Oder Leute mit zu viel Freizeit. Auf jeden Fall nicht ernst zu nehmen. Und für eine Künstlerin, die ernst genommen werden will, gelinde gesagt, eine Totalkatastrophe. Basteln! Dabei stecken wir alle doch mitten drinnen. Ich sage nur: Flughafen. Einheitsdenkmal- Mit ausgebufften Plänen kommt man da nicht weiter. Berlin ist eine Stadt der Improvisation! Nichts ist schließlich so haltbar wie ein Provisorium. Diese Serie immerhin hat sich eine schöne Weile lang gehalten. Jetzt aber treffe ich meine letzte Kandidatin. Marie Steinmann ist Vollprofi. Als Waldorfschülerin und studierte Grafikdesignerin beruhigt sie mich schon bei meiner schriftlichen Anfrage, dass sie alles basteln könne. Alles! Jedoch will ich nur eine Kleinigkeit, im Grunde ihre Mitarbeit. Etwas Hilfe beim Organisieren eines euphorischen Endes. Denn: wir haben ja in dieser langen Zeit immer für den guten Zweck gebastelt. Alle Werke sollen für richtig fettes Geld also versteigert werden und auch nachhaltig wirken. Etwas bewirken. Ehrlich gesagt habe ich inmitten aller Welt-Krisen lange überlegt, welche Organisation zu unterstützen denn nun wirklich Sinn macht. Ohne dass man gleich das Gefühl bekommt, sich in politisch aufgeladene, hassgeprägte Nesseln zu setzen, die derzeit überall zu wachsen scheinen, wo man mit Charity, Wohltätigkeit doch eigentlich etwas Positives erreichen will. Gutes Tun ist momentan anscheinend nicht gerade angesagt. Oder trifft nicht den richtigen Ton. Egal. Basteln mit Prominenten ist rückblickend gesehen auch ein bisschen wie Baden in Drachenblut. Mit solchen Gedanken treffe ich mich mit Marie erst mal im Café, um das Projekt zu besprechen. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Filmemacher Tom Tykwer hat sie vor acht Jahren den Verein „One Fine Day e.V.“ (link) gegründet, der in Kenia, Nairobi mittlerweile 7 verschiedene Workshopmöglichkeiten für ca. 800 Schüler anbietet. Das ganze Jahr über werden die Kids in Kunst, Tanz, Akrobatik, Theater etc. unterrichtet, was hier bildungsbürgerlich normal ist und dort eben nicht. Marie weiß darüber viele tolle Geschichten zu erzählen, während wir schon mal anfangen, eine endlos lange To-do-Liste für die Charitykunstauktion im April zusammenzuschreiben. 33 Prominente stellen sich mit ihren mehr oder weniger haltbaren Himmel-und Höllespielen, Plastemännchen, Plagiatscollagen etc. der kritischen Öffentlichkeit zur Bewährungsprobe, ob das nun Kunst ist oder weg kann oder ob man es damit eben doch schafft, gutes Geld zu verdienen und Gutes zu tun! Irgendwann im Auto muss ich Marie dann doch fragen, ob sie nicht manchmal das Gefühl habe, ihr Engagement in Afrika sei wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Nein, sagt sie ganz bestimmt, die Hände fest am Steuer. Im Gegenteil spüre sie den Erfolg, wenn man die Jugendlichen mit ihrer Kreativität einfach ernst nähme. Dass man Kunstmachen ernst nimmt. Dass man daraus auch einen echten Beruf machen könne, sei dort für viele eine neue, wichtige Erfahrung. Und eine, die man teilen muss. Auch daher finde ich es klasse, dass Marie jetzt endlich auch noch was basteln wird. Das symbolisch letzte Ausrufezeichen für diesen Kreativfuror. Nur: was soll das sein? Hat Marie eine Idee? Sie als Superbastlerin? Sie kommt ein paar Tage später in mein Atelier und möchte ein Herz drucken. Das soll alles sein, schießt es mir in den Kopf. Herz kann eigentlich jeder. Also schlage ich vor, sie solle es lieber mit einem Bär versuchen. Ist schon schwieriger. Tatsächlich muss sie eine Weile im Netz nach der passenden Vorlage suchen. Dann aber hat sie ihn in ein paar Minuten skizziert, aus dem Karton ausgeschnitten, aufgeklebt, mit blauer Linoleumfarbe beschmiert, auf Holz, wahlweise Tuch gedruckt. Am Boden, mit vollem Körpereinsatz. Wir kommen nicht einmal dazu, einen Schluck Kaffee zu trinken. Dann segeln wir auch schon ins Haus am Lützowplatz, um die Ausstellung zu besprechen. Uff. Wie heißt es gleich? Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Dem ist nach all den irrwitzigen Begegnungen und Geschichten nur hinzuzufügen: und sie macht Sinn.

Hans Jochen Wagner

Schon des Öfteren hat der Schauspieler Hans Jochen Wagner („Drei“, „Wohin mit Vater“, „Alle Anderen“) in seinen zahlreichen Filmrollen den Architekten gegeben. Auch am Häuserkampf um einen Neubau seiner ehemaligen Schauspielschule Ernst Busch war er aktiv beteiligt. Grund genug, ihm eine große Kiste mit bunten dänischen Plastiksteinchen mitzubringen, aus denen er seine Traumvilla baut. Mein Angebot, die etwas kleinere blaue Grundplatte zu nehmen, weil ich die im Anschluss besser auf dem Rad nach Hause transportieren kann, schlägt er mit motivierter Hand aus, denn: wann hat er schon mal die Möglichkeit, ein großzügiges Haus am See zu planen, das er sich in Echt- wie er meint- nie leisten können wird. Im Vergleich zur recht ausgreifenden Steckplatte fällt sein Einraumhaus dann doch unerwartet bescheiden, dafür umso farbenfroher aus. Eine Sauna aber muss unbedingt angegliedert werden, und das spätere Grundstück darf mitsamt Steg auch nicht zu mickrig geraten.

Währenddessen kommt er ordentlich ins Plaudern über Nebenwirkungen der Gentrifizierung im Graefekiez, wo er selbst wohnt. In einem ehemaligen Bau der psychiatrischen Abteilung des Urbankrankenhauses habe man einen Schamanen einbestellt, um sich nach Umwandlung des Gebäudes in Eigentumswohnungen potentieller böser Geister zu entledigen. Ob es geklappt habe, wisse er nicht, aber dass er zwei Mal kommen musste, habe er gehört. Davon inspiriert packt er einen Schutzgeist auf sein eigenes Dach, nicht ohne dabei süffisant zu lächeln. Überhaupt bietet der Bereich der Bauvorhaben mittlerweile genügend Stoff für eine ganz neue Reihe von Witzen; nicht immer weiß man, ob man darüber auch lachen will. Dem Schamanenbeispiel kann ich eins aus dem Prenzlauer Berg beisteuern, wo unlängst ein entmietetes Wohnhaus leer steht, nachdem man unbedingt im Rahmen von Modernisierungsmaßnahmen eine Tiefgarage bauen musste, obwohl das abschüssige Grundstück an die S-Bahnstrecke grenzt. (Und man ja selbst schon öfter beim Buddeln im Sand mit ansehen konnte, was im Laufe der Zeit passiert, wenn man einer Burg nachträglich einen Tunnel verpasst.) Mit dem Ergebnis, dass das frisch renovierte Hinterhaus abgesunken und das Bauvorhaben sichtlich abgebrochen ist.

Spontan müssen wir beide an die Schildbürgerstreiche denken. Auch deshalb besteht Hans Jochen Wagner darauf, in sein eigenes Legohaus große Fenster und Türen zu bauen, egal, ob die Konstruktion den späteren Transport übersteht. Beflügelt von der Möglichkeit, ohne viel Umstände, eine Mauer einzureißen und durch eine offene Küche zu ersetzen, stimmt er ein Loblied auf die Improvisation an, die anders als das beflissene Einhalten von Plänen vielleicht doch zum besseren, da kreativen Ergebnis führt. Überhaupt fordert Hans Jochen Wagner im Laufe des erbaulichen Gesprächs öfter „Mehr Mut!“ ein, auch die Programmgestaltung des Fernsehens betreffend. Wir werden lange über dieses Thema reden, wenngleich sich der Schauspieler, der ja daran gewöhnt ist, viele Dinge gleichzeitig zu tun, nicht davon ablenken lässt, an seinem Haus weiterzutüfteln. Ein Problem sei die mangelnde Transparenz mancher Entscheidungen, wobei ein Redakteur bei der Besetzung der Schauspieler schon mal nach persönlicher Sympathie entscheide. Sagt’s und drückt sich ein zu großes Teil zurecht, um den Bau der Sauna abzuschließen.

Der Exilschwabe hat sich in Berlin schon lange akklimatisiert, und so muss am Ende der Steg für eine Lücke am Dach herhalten und wird prompt von einem neumodischen Designerteil als Ein- und Ausstieghilfe für das Ruderboot ersetzt. Dass sein Werk zwar termingerecht nach einer Stunde fertig, jedoch nicht von Dauer ist, amüsiert ihn. Für die Benefizkunstauktion am Schluss der Serie wird sein Werk eben auf Foto gebannt, welches er wiederum signieren wird. Nach dem Auspacken zuhause nehmen sich meine Jungs begeistert des Bauwerks an, optimieren es um ein paar unwesentliche Kleinigkeiten und staunen nicht schlecht, dass man mit „so was“ Geld verdienen kann.

Anian Zollner

Anian Zollner ist Schauspieler, aber auch Drehbuchautor. Außerdem ist er mein Kieznachbar. Daher nimmt er den kurzen Weg zu mir nach Hause, anstatt durch die halbe Stadt ins Atelier zu kommen. Obwohl wir uns schon eine Weile kennen, war er noch nie in meinen privaten Räumen.

Das ist vielleicht nicht erwähnenswert, aber ich mache ja Fotos (siehe Internethinweis am Ende des Textes), und plötzlich überlege ich, was ich noch aus dem Weg räumen sollte, damit es hinterher nicht zuviel über mich erzählt. Schließlich muss man bei all den Verrückten, die unsere Stadt immer neurotischer machen, vorsichtig sein. Gleichzeitig möchte ich für gute Stimmung sorgen. Das nimmt die Ehrfurcht vor der Kunst und schafft Raum für die eigene Kreativität.

 

Damit auch alles klappt, habe ich vorsorglich einen Piccolo Sekt eingekauft. Er habe etwas Angst, sagt mir Zollner schon in der Tür, weil er doch gar nicht wisse, was er denn gestalten soll. Da helfe jetzt auch kein Sekt. Was bauen? Was denn bloß? Seine Schwester habe ihm dazu geraten, etwas aus Ton zu kneten. Sie absolvierte unlängst eine Ausbildung zur Kunsttherapeutin und hat damit gute Erfahrungen gemacht. Von ihr weiß er auch, dass man in Amerika Zeugen etwas aus Ton kneten lässt, um es bei Gericht als Beweismittel einzusetzen. Das sei oft eindeutiger als das, was man in Worte zu fassen versucht. Das passt gut.

Anian Zollner muss oft den Bösewicht spielen, zuletzt im „Tatort: Ihr Kinderlein kommet“. Auch mir hat er immer wieder Schauer über den Rücken gejagt, obwohl wir uns, wie gesagt, schon eine Weile kennen und ich ja weiß, dass er natürlich ganz anders ist, aber andererseits − kann man sich sicher sein? Wer weiß, was da im Innersten verborgen schlummert? Den Sekt lasse ich im Kühlschrank.

Es ist auch ein Irrglaube zu denken, die beste Kunst entstehe im Rausch. Also hole ich einen Batzen Ton aus dem Reservatenschrank, fünf Kilo feinste Erde. Dann hieve ich den Klotz auf unseren Wohnzimmertisch. Zur Sicherheit noch einen Müllsack als Unterlage. Dazu ein paar Modelliermesser und eine Drahtschlinge, mit der man den Ton zerteilen kann.

 

Überzeugender Würger

In Zollners Spielerhänden erhält die Szenerie zwischen Drahtseil und Plastiksack mit einem Mal einen ganz anderen Kontext. Prompt geht er auf meine Assoziation ein und macht fürs Foto den Würger. Überzeugend. Im nächsten Moment aber lockert er die Situation schon wieder auf, indem er trocken kommentiert, dass ein Kilo Ton auch gereicht hätte. Zumal er noch immer keine Idee hat, was er bauen soll.

Langsam ziehen sich seine Augenbrauen zusammen. Er legt die feingliedrigen Hände ab. Erst mal muss ich ihre besonders schöne Gestalt bewundern. Zollner lacht auf. Auch seine Großmutter habe ihm wegen deren Schönheit schon früh geraten, Arzt zu werden. Am besten Frauenarzt. Ich gucke, was Zollners Augenbrauen machen, und bin erleichtert, als er endlich anfängt, den Ton behutsam zu kneten. Noch immer bleibt Zollner skeptisch und nimmt sich Zeit, von seinen Filmprojekten zu erzählen, zuletzt von „Wir wollten aufs Meer“. Es sind feine Anekdoten, wie sein Marktwert auch mit der Prominenz der Kollegen (Diehl, Fehling) steigt, obwohl die eigene Rolle klein war.

Doch unser Gespräch rückt immer mehr in den Hintergrund, als Zollner ächzt, dass er nicht mehr reden könne. Der Kopf in seinen Händen nimmt Form an. Er bekommt ein Gesicht. Eine viel zu große Nase, wie Zollner leicht bitter bemerkt. Auch der Hinterkopf sei noch zu dürftig. Er brauche mehr Hirn! Ob er sich etwas mehr Ton nehmen dürfe? Wie gehen Ohren? Immer wieder muss ich mich ins Profil setzen, damit er die Ohrläppchen nachzeichnen kann. Immer wieder verrutscht der Spachtel, will das fremde Gesicht einen anderen Muskel, eine andere Mimik bekommen. Zollner hat offenbar Feuer gefangen. Mittlerweile ist er kaum noch zu bremsen, und er betont, wie viel Spaß ihm das mache und wie neu das für ihn sei. Der Kreativrausch findet auch nach zwei Stunden kein Ende.

Für mehr Hinterkopf sorgt dann eine Mütze, unter der man die Ohren gut verstecken kann.

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